Damast, Wootz, Tamahagane und ihre Verwendung für Schneidwaren

Dieser Artikel ist vermutlich schon länger überfällig. Kaum einen Sachverhalt erörtere ich noch so oft, wie die Frage nach dem Sinn von Damast als Messermaterial.
Jetzt stelle ma uns mal janz dumm und frare: Wadd isene Damast?
Wenn diese Frage einfach zu beantworten wäre, hätte ich nicht vor Schreibbeginn laut gestöhnt und mich ausgiebig gestreckt. Der Leser sei gebeten, noch einmal aufs Klo zu gehen, sich einen heißen Kakao zu holen und sich zurück zu lehnen – das könnte jetzt ein bisschen dauern. Oder anders gesagt: Der alte Mann packt seine schon zu Sagen gereichende Strukturlosigkeit aus.

Schmelzdamast

Der eigentliche Damaststahl wird heute Wootz oder Bulat genannt und bezeichnet einen Stahl, der bis in 18te Jahrhundert im Orient hergestellt worden ist. Warum das Geheimnis seiner Herstellung verloren ging, ist nur zu erklären, wenn man einen kurzen Exkurs in die Metallurgie überstanden hat: Wootz wird zu einem „König“ genannten Barren aus Eisen, Sorel, Kohle, Blättern und Glas erschmolzen. Im Gegensatz zu der in Europa üblichen Stahlgewinnung im Rennofen findet hier also eine echte Schmelze statt. Das Glas schwimmt in der Schmelze auf und verhindert, dass Luftsauerstoff daran kommt und den Kohlenstoff verbrennt. Das Ziel der Schmelze ist, das Eisen aufzukohlen, um einen härtbaren Stahl zu erhalten und das berühmte Damastmuster zu erzeugen, das den fast mystischen Ruf der orientalischen Waffen über Jahrhunderte auszeichnete. Das Geheimnis dieses Musters ist das Sorel-Eisen, das im Prinzip als Träger von bestimmten notwendigen „Verunreingungen“, v.A. Vanadium, Niob, Molybdän und Mangan, fungiert. Diese Legierungselemente bilden die Kristallisationskeime, an denen sich die Austenitnadeln bilden (Austenit ist eine der Kristallkonfigurationen von Eisenlegierungen), die am Ende für das Muster des Stahls verantwortlich zeichnen. Man geht davon aus, dass die Erschöpfung bestimmter Minenstätten im Orient dazu geführt hat, dass im Ausgangserz die notwendigen Verunreinigungen nicht mehr vorhanden waren. Trotz richtiger Schmelz- und Schmiedetechnik erhielten die Handwerker also plötzlich keinen Wootz mehr. Dass das Geheimnis um die Herstellung danach verloren ging, ist mehr als plausibel. Erst vor etwa einem Jahrzehnt gelang es Schmieden aus Deutschland und Russland, die Geheimnisse um die Herstellung zu entschlüsseln. Sie forschten öffentlich, sodass es jetzt wieder eine Handvoll Schmiede gibt, die dieses Material herstellen und verarbeiten können. Wootz muss allerdings sehr kalt und hart geschmiedet werden, wird er zu hoch erhitzt, geht das erarbeitete Gefüge kaputt. Die Arbeit ist also sehr konzentrationsintensiv, schwierig und anstrengend. Obgleich die Leistungseigenschaften des Stahls schlecht untersucht sind, handelt es sich um ein Material für Liebhaber. Der nötige Aufwand für guten Wootz ergibt einen heftigen Preis für den Endverbraucher, ohne dass von Vorteilen bei der Schneidleistung berichtet wird. Die legendäre Qualität der mittelalterlichen Damastwaffen ist immer im Verhältnis zu den Werkstoffen der Zeit zu sehen. Wer aber von den faszinierenden Mustern des Stahls gebannt ist und das Kunsthandwerk unterstützen möchte, den kann ich natürlich nur darin bestärken, sich eine Wootzklinge zuzulegen.

Schweißdamast

Der Versuch der europäischen Schmiede, die Musterung des Damaszenerstahls nachzuahmen, resultierte in dem, was wir heute als Damast kennen, was aber korrekterweise Schweißverbundstahl oder Schweißdamast heißen müsste: Nimmt man mehrere Stähle, die, wenn man sie ätzt, unterschiedlich hell zeichnen, und verschweißt und faltet sie immer wieder, so kann man ein Stahlbild erzeugen, das dem Vorbild zumindest ein wenig ähnelt. Liest man diese Theorie bei Wikipedia nach, so wird man auf die Behauptung stoßen, sie sei unwahrscheinlich, da „damaszierte“ Klingen schon lange vorher hier bekannt waren. Bei solchen Sätzen muss ich natürlich einmal lang und tief durchatmen. Stahl wurde in Europa wie in Japan noch bis die Neuzeit im Rennofenverfahren gewonnen. Dabei wird Eisenerz (in Europa häufig Rasenerz, in Japan Eisensand) mit Nadelholzkohle zu Renneisen verhüttet. Es tritt hierbei keine Schmelze, sondern eine Reduktion des Eisens mit Ausschlackung der Verunreinigungen ein, das Ergebnis wäre sonst viel zu hoch aufgekohltes Gusseisen. Das Ergebnis, die s.g. „Luppe“, ist ein sehr inhomogener Stahlschwamm, der jetzt „gegärbt“ werden muss, also im Feuer gereinigt und homogenisiert. Zu diesem Zweck wird er im Feuer immer wieder verschweißt und gefaltet. Klingelt was? Das haben wir schon mal gehört. Als die Schmiede hierzulande versuchten, die Damastklingen aus dem Orient nachzubilden, bedienten sie sich natürlich der Techniken, die sie kannten. Der Sinn ist aber genau entgegengesetzt: Während das Gärben das Ziel hat, einen möglichst homogenen Raffinierstahl zu erzeugen, hat das Damaszieren den Sinn, mehrere homogene Stähle zu einem kalkuliert inhomogenen Werkstoff zu vereinen. Der Unterschied ist vor allem die Zahl der Faltungen. Ein Raffinierstahl wird öfter gefaltet und wird dadurch überall sehr gleich; bei einem Damaststahl wäre an dem Punkt die völlige Sinnlosigkeit erreicht.
Es gibt mehrere Möglichkeiten, wie man Damast erzeugen kann. Immer beliebter wird die Herstellung von pulvermetallurgischem Stahl (Damasteel™), wobei die Muster durch Metallstaubschichtungen erzeugt werden, die dann zusammengesintert werden. Als Vorteil ist anzuführen, dass sehr komplexe Muster erzeugt und auch rostträge Stähle verarbeitet werden können. Gerade für Schmuckstücke und rostfreie Damastmesser wird das Material daher gerne genommen. Rostträge Stähle sind deshalb schwer von Hand zu damaszieren, weil das enthaltene Chrom eine Chromoxid-Schutzschicht (genau das, was auch vor Rost schützt) ausbildet, die Schweißungen verhindert. Es ist fertigungstechnisch aber möglich und wird sowohl industriell in der Walzlaminatherstellung gemacht, wie auch von erfahrenen Damastschmieden wie Markus Balbach oder Achim Wirtz von Hand. Generell ist das Merkmal „rostfrei“ in Kombination mit dem Wort „Damast“ immer das Signal, dass alle Warnlampen angehen müssen, einen einfacheren Weg, billige Massenware als solche zu erkennen, gibt es selten. Ausnahmen werden sich mit der zertifizierten Herkunft ihres Stahls schmücken (also entweder der Schmied oder Damasteel), denn das Material ist sehr teuer.

Die wichtigste Trennung, die sich hier aber findet, ist die zwischen Zier- und Leistungsdamast. In den allermeisten Fällen, wenn ich von „Damastmessern“ höre, ist die Klinge aus fertigem Walzlaminat hergestellt, wobei die Randlagen aus industriellem Zierdamast bestehen, in dessen Mitte eine Schneidlage aus Monostahl eingelegt ist. Dass diese Klingen keinen Vorteil gegenüber einer normalen Dreilagenklinge haben, ist denke ich selbsterklärend. Da dieses Standardmaterial rostträge ist, hat es sogar massive metallurgische Nachteile gegenüber dem von den günstigeren japanischen Schmieden verwandten industriell hergestellten Dreilagenstahl, der als Schneidstahl gediegenen Papierstahl mitbringt. Auch etliche hochpreisige Messer haben nur Zierlagen aus Damast, dann aber teilweise von Hand geschmiedet; in Japan zB findet man so gut wie keine Messer, deren Schneidlage aus Damast besteht. Hier ist der handwerkliche und ästhetische Mehrwert sicherlich höher, für die Qualität der Schneide tut das aber nichts. Wirklich interessant wird es erst, wenn wir uns dem Damast als Schneidenstahl zuwenden.

Leistungsdamast entspringt dem ebenfalls früh in der Damastherstellung präsenten Gedanken, die guten Eigenschaften mehrerer Stähle miteinander zu kombinieren. Es werden unterschiedlich legierte Stähle eingesetzt, um die Schneide mit dem besten aus den beiden Welten hart und zäh zu versehen. Art der Faltung und Zahl der Lagen, vor allem aber Auswahl des Ausgangsstahls ist eine Frage der Erfahrung des Damastschmieds und nicht unbedingt alltäglich. Einen prüfenden Blick in Richtung Balbach, Stienen oder Wirtz zu werfen, ist daher mehr als empfehlenswert. Tatsächlich zeigen die wenigen Untersuchungen, die es zu dem Thema gibt, dass Damast eine erstaunliche Festigkeit und Schärfe bietet. Hierbei spielt aber wohl auch ein Faktor eine Rolle, an den vorher wenig gedacht worden ist: Die Schweißgrenzen zwischen den Lagen bilden eine Kristallisationsgrenze, sodass das Gefüge potentiell feiner werden kann, als bei einem Monostahl. Ein guter Leistungsdamast mit feiner Struktur hat also tatsächlich das Potential, bessere Schneideigenschaften zu haben, als sein homogenes Äquivalent ( – es ist übrigens sehr fraglich, ob dieser Effekt bei gesinterten Stählen ebenfall auftritt). Der Preis für solche Messer ist aber sehr hoch. Güde hat eine Serie mit Balbach aufgelegt, dort kann man sich mal preislich orientieren.

Raffinierstahl

Als letztes gilt es jetzt noch, den Raffinierstahl abhandeln, der auch immer wieder Punkt von Diskussion (und Habenwollen-Reflexen) ist: Dieser Stahl, vor allem im Fokus steht der japanische, in dem Tatara genannten Rennofen gewonnene Tamahagane (Juwelenstahl), zeichnet sich durch ein sehr feines Faltungsmuster aus, hat aber technisch gesehen keine Vorteile gegenüber hochreinen Schneidstählen.
Hitachi entwickelte die traditionelle Stahlherstellung zu einem industriellen Prozess weiter, das Ergebnis ist der s.g. „Papierstahl“ (depperterweise tatsächlich nach dem Packpapier benannt, in dem er geliefert wird…), der auch heute noch als bester Schneidstahl der Welt gelten kann, auch wenn hiesige Stähle (z.B. Kugellager- oder Feilenstahl) ebenfalls von extrem hoher Qualität und Reinheit sind. Gängig sind Weißpapierstahl (Shirogami) und Blaupapierstahl (Aogami), wobei letzterer mit Wolfram, Chrom und Mangan legiert ist, dadurch etwas zäher, aber weniger scharf ist. Der Stahl kann als dem Tamahagane ebenbürtig angesehen werden. Es ist zwar überaus bemerkenswert, dass die japanischen Schmiede schon vor hunderten von Jahren einen Stahl herzustellen wussten, der auch von heutigen Produkten in seiner Qualität kaum geschlagen werden kann; der gewaltige Aufwand, den Stahl von Hand zu erschmelzen, die Luppe zu brechen, sortieren, binden und zu dann zu gärben, steht aber in keinem Verhältnis zu dem Ergebnis. Ein Messer oder Schwert aus Tamahagane oder europäischem Raffinierstahl besitzen zu wollen, ist also ein reines Haben-um-des-Habenwollens.
Nicht dass das schlecht wäre…

Fazit

Um das Ganze jetzt mal kurz und gut abzuschließen: Wootz (Schmelzdamast) und Raffinierstahl (z.B. Tamahagane) sind etwas für den Liebhaber, das von technischer Seite her keinen Mehrwert bringt. Zierdamast ist häufig billigster, industriell erwalzter Kitsch, aber auch wenn er aus Handarbeit kommt, ist er nur etwas für’s Auge. Ein gut gemachter Leistungsdamast (also ein Damast, der wirklich die Schneide bildet) zeigt tatsächlich sehr gute Eigenschaften und hat das Potential, besser als ein Monostahl zu sein. Der Preis dafür ist aber ebenfalls sehr hoch, sodass der Mehrwert zum Aufpreis in keinem Verhältnis steht. Schneidwaren aus Damast oder Raffinierstahl sind – mit Ausnahme der billigen Augenwischerei durch Walzlaminattapeten – eine Sache für den Liebhaber oder Kunsthandwerksmäzen.

Eine Antwort zu “Damast, Wootz, Tamahagane und ihre Verwendung für Schneidwaren”

  1. helmut Ahrens Says:

    ein sehr interestanter und aufschlußreicher Artikel.

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