In jedem Supermarkt gibt es eine große Theke mit Balsamico-Essig, in jeder Kochsendung wird er von Pommes bis Wassermelone an alles gespritzt, was nicht bei 3 in der Mülltonne ist und inzwischen geht mit dem Wort selbst sogar die zugeknöpfteste Hausfrau gelassen um. Man sollte meinen, wir würden Balsamico kennen. Ätsch, reingefallen.
Aceto Balsamico oder Balsamico-Essig ist kein geschützter Begriff. In anderen Worten: Eine Einladung für große Firmen, ein Produkt mit ausgesprochen guten Ruf unter Kennern bei den Eiern zu packen und einen billigen Abklatsch in den Markt zu drücken. Die Italiener haben zügig begriffen, dass der Kampf aussichtslos und die Teilnahme an der Kampagne äußerst lohnenswert ist. So haben sie sich direkt „Aceto Balsamico di Modena“ D.O.P.-geschützt und machen mit dem „traditionell hergestellten Original“ ein ausgezeichnetes Geschäft. Fast jede Acetaia hat solche Produkte in ihrem Sortiment, da ist sich keiner zu stolz für. Zusammen mit den exzellent beleumundeten Herstellern aus dem Schoß der Balsamico-Produktion verschweigen einem die Händler äußerst gerne, dass diese D.O.P. mit nichts als dem Standort der Produktion verbunden ist. Mit anderen Worten: Da kann alles drin sein. Und ist auch oft genug. Meistens handelt es sich um einen Industrieessig mit Glucosesirup und Aroma.
Echter Balsamico-Essig musste aber natürlich erhalten bleiben, denn das ist seit vielen hundert Jahren der tief verwurzelte, frenetisch verteidigte Stolz der Region um Modena in Emilia Romagnia. Ergo wurde eine zweite D.O.P.-Bezeichnung parallel erschaffen, die das Erbe der Stadt schützt: „Aceto Balsamico Tradizionale di Modena“ und „Aceto Balsamico Tradizionale di Reggio Emilia“ – und die haben es in sich. Sieben Rebsorten sind zugelassen, alle Trauben müssen aus der Region kommen. Es ist nur eingekochter Most als Zutat zugelassen. Der Essig muss 12 oder 25 Jahre in Fässern aus mindestens drei verschiedenen Hölzern gelagert werden, in Emilia gibt es auch noch die Kategorie 18 Jahre. Der Essig muss von einer Kommission verkostet und zum Verkauf freigegeben werden, der Vorrat ist derweil bei der Kommission unter Verschluss und wird nach Freigabe unter Anwesenheit der Hersteller zentral abgefüllt. Alle kriegen die gleiche Flasche. Das Alter wird in Modena mit zwei Kapselfarben und in Emilia mit drei verschiedenfarbigen Etiketten gekennzeichnet. Der Prozess ist so kontrolliert als wäre er von Schwaben ersonnen. Das alleine zeigt, wie sehr der Essig der herstellenden Region am Herzen liegt.

Der Essig wird in einer „Batteria“ genannten Abfolge kleiner werdender Fässer aus unterschiedlichen Hölzern nach dem Solerasystem ausgebaut
Jetzt stellt sich natürlich wie immer die Frage, ob der Unterschied zwischen einem gut gemachten Industrieprodukt und einem traditionell handgefertigten Balsamico den drastischen Preisunterschied rechtfertigt. Immerhin kosten 100ml des raren Elixirs ca. 50€ für den 12-jährigen und ca. 100€ für den 25-jährigen. Ich habe mir aus Gründen von Dekadenz und Rittersleben einen 25-jährigen Tradizionale von der Acetaia Pedroni bestellt. Man lebt nur einmal und mit Stapelchips und Fischstäbchen ist es einfach manchmal nicht getan. Zum Vergleich gab es einen der hochwertigeren nicht-traditionellen Essige aus dem gleichen Hause.

25-jähriger Essig aus der preisgekrönten Acetaia Pedroni. Balsamico dieses Alters darf sich „Condimento“ und „Extra vecchio“ nennen.
Der günstigere Essig schmeckt süßsäuerlich und merklich nach Traube, hat aber eine dominierende Essignote. Soviel dazu. Für Vinaigrette bestimmt brauchbar. Der Tradizionale ist aber schlicht nicht vergleichbar. Er ist dickflüssig und fast schwarz, schmeckt intensiv nach Traube, leicht kräuterig und schwarzbeerig, leichte Tabak- und Ledernoten erinnern an die Fassaromen von gutem Highland-Whiskey. Der intensive süßsauere Geschmack ist perfekt ausbalanciert und – was ich am spannendsten finde – die unangenehme Essignote ist vollständig verschwunden. Die Säure ist äußerst fein. Ich bin extrem angetan, ich glaube, das ist herauszulesen.
In kräftig gewürzten Gerichten geht das feine Aroma des Balsamicos sehr leicht unter. Ich würde davon abraten, ihn unüberlegt an alles anzugießen. Mit Parmesan schmeckt er vorzüglich. An der milden Sahnigkeit eines Büffelmozzarellas oder von Burrata entfaltet er sich genauso wunderbar wie mit einfach nur in Butter geschwenkten Tortellini. Und dann ist da natürlich noch meine absolute Lieblingsart, den Essig zu genießen: Mit Viennetta-Eis. Kein Witz. Sahneeis mit dunkler Schokolade passt unglaublich gut dazu.
Da haben wir den Salat: Noch eine ziemlich teure Delikatesse, ohne die ich jetzt nur noch ungern leben möchte. Ich bin tatsächlich derart angetan, dass ich den Erwerb von Fässern zwecks eigener Produktion ernsthaft abwäge. Das wäre doch mal eine schöne Investition in die Zukunft. Vielleicht bin ich aber auch nur eine Gefahr für mich und andere – das ist manchmal schwer auseinander zu halten.