There is no such thing as Solidarität
Für mich hieß Solidarität bis jetzt 50Cent-Ablasssurrogat-Buttons am Revers, die einem bei einem bestimmten Menschenschlag einen zusätzlichen Profilierungspunkt eingebracht haben. Für Deutschland hieß Solidarität bis dato, dass man viel Geld auf den Tisch haut, um geographisch begrenzt blühende Landschaften zu schaffen oder dass wir immer noch Abends eine Kerze für Elsass-Lothringen ins Fenster stellen.
Frau Merkel teilte uns medienbreit nach dem 11. September mit: „Solidarität heißt, im Zweifel zu allem bereit zu sein.“ Eine Definition, bei der Schillers
„Daß er sein bös Gelüsten nicht vollbracht,
Hat Gott und meine gute Axt verhütet.“
einem direkt als Aufforderung erscheinen mag.
Aber nichts überstürzen: Worum geht es mir hier eigentlich?
Es fängt damit an, dass einige Landesregierungen beschließen, 500€ sei pro Semester ja nun wirklich nicht zu viel verlangt, und damit de facto die Zugangsfreiheit der Bildung vernichten.
Das Argument, wer wirklich wolle, könne das schon irgendwie bestreiten, schmeckt zumindest an dem Abend ein bisschen fahl, wo man das erste mal vom Strich wiederkommt, um sein Studium bezahlen zu können. Meine Universität befand die Situation für günstig, direkt auch noch von allen ca. 30.000 Studenten einen Verwaltungskostenaufschlag von 75€ zu erheben. Das viele Geld muss ja verwaltet werden. Das kennt man von zuhause: Wenn einem jemand 15 Millionen Euro schenkt, dann kann man sich davon nicht einen einzigen Tretroller kaufen, bevor man nicht 2,25 Millionen Euro Verwaltungsgebühr bekommen hat.
So weit, so nachvollziehbar.
Da gab es aber eine weitere Position, die mich ein wenig stutzig machte. Bei 500€ Bruttosemesterbeitrag werden tatsächlich 694,29€ von meinem unter der Belastung knarzenden Konto abgebucht. Eine große Position ist das Semesterticket, das verpflichtend ist.
Wer hier studieren will, der muss pro Semester 62,29€ an eine dubiose Organisation bezahlen, die sich aus Gründen von höherer Natur für mich verantwortlich fühlt, um am Ende nicht mal den öffentlichen Personennahverkehr nutzen zu dürfen. Das stieß mir dann doch etwas sauer auf und ich habe mal recherchiert, ob ich mir das tatsächlich gefallen lassen muss, denn das macht mal fast 1000€, die ich für eine Leistung bezahle, die ich nicht nutze.
Die Antwort war interessant:
Ja, ich muss. „Warum?“ könnte man da fragen, „Was interessiert es mich, ob irgendwelche Leute, die nur in der selben Stadt wie ich vielleicht Arboristik studieren, kostenlos an die Nordsee fahren können?“ Man könnte es mit dem großen Percival Cox halten „I’m so sorry, I set fire to a big pile of money just this morning!”
Seit wann schert sich denn hier irgendwer um die Studenten?
Es ist gut zu erfahren, dass es das wunderbare bayrische Landesgericht gibt, das entschieden hat: 60€ pro Semester sind ein angemessener, üblicher Solidarbeitrag für einen Studenten und daher nicht anfechtbar.
Ich habe lange über diesen wunderbaren Term nachgedacht. Ein „angemessener Solidarbeitrag“. Ein „üblicher Solidarbeitrag“. Ich habe über das Wort „Solidarität“ meditiert und bin zu dem Schluss gekommen:
There is no such thing.
Solidarität bezeichnet laut Duden den unbedingten Zusammenhalt in Anbetracht eines gemeinsamen Ziels. Bei der Solidarität handelt sich daher um einen sozialen Wert, einen persönlichen Wert, nicht aber um eine Pflicht. Unsere Pflicht ist, sicherzustellen, dass keiner auf offener Straße von einem Klavier überfahren wird. Dass wenn jemandem der Arm abfällt, dass er nicht verhungern muss. Das ist unsere Pflicht. Nicht unsere Pflicht ist, in die selbe Richtung zu gucken, auf das selbe Ziel zu streben. Ich laufe doch nur mit meinen Kommilitonen in eine Richtung, schneller sogar als jene, damit ich irgendwann wieder hinter ihnen auftauchen und sie jagen kann (frei nach Pispers). Ich habe bei Leibe nicht das selbe Ziel.
Es gibt keinen „üblichen“ Solidarbeitrag, denn es gibt nichts derartiges und damit keinen Vergleich für „Üblichkeit“. Ich werde nirgendwo sonst gezwungen, habe nicht mal die Möglichkeit, für meine sozial benachteiligten Mitstudenten Geld anzubringen.
Und sind 120€ im Jahr wirklich als „angemessen“ zu bezeichnen? Ich kenne Leute, für die ist 120€ im Jahr das Gesamtkapital für Freizeitausgaben, ohne den ihre Selbstverwirklichung durch Kaufrausch einfach nicht funktioniert.
Nein, es ist doch hinten und vorne Blödsinn, der Gedanke hinkt genau wie die Definition. Es sind alles vorgeschobene Gründe, um dies zu kaschieren:
Wir müssen sicherstellen, dass nach wie vor alle Studenten kostenlos zum Strich kommen können, damit sie ihr Studiengebühren bezahlen können, sonst bricht letztendlich unser gesamtes Bildungskonzept in sich zusammen.
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