Scheinheiligenschein
Wenigstens ist der alte Mann wieder in Rom und das ewige Presseloch, das eigentlich inzwischen immer zu existieren scheint, wenn nicht gerade irgendwo ein Tsunami explodiert, dieses Mahnmal der völligen Abwesenheit von allem anderen als Kriesenboulevardismus, kehrt wieder zu seinem inhaltlosem, den Blutdruck nunmehr kaum beeinflussenden Selbst zurück. Dass ich bis jetzt nichts geschrieben habe, war so lange Faulheit, bis mir eingefallen ist, dass ich mich aus der Masse des populistischen Schreibenden Packs würde hervortun können, gäbe ich dem ganzen nur ein wenig Zeit zum Abhängen und Mürbewerden.
In der Menge der unerträglichen Dummquasselei, sowohl auf Seiten der sich vielstimmig artikulierenden Kirche, als auch auf Seiten der Atheisten, von denen wie immer die am lautesten und damit pressewirksamsten und damit wieder rufschädigendsten schreien, die am unerträglichsten sind – Davilá hat mal geschrieben, dass man sich gegen die Last der Idioten auf der eigenen Seite nur mit völlig anachronistischen Meinungen schützen könne -, stach eine heraus, über die ich etwa genauso dringend stolpern musste, wie die US of A Dick Cheney gebraucht haben: In einem Schwall epischer Furchtbarkeit erbrach sich SPON-Kolumnist Jakob Augstein in die ihm fortan zu verbietende Tastatur. Dass ich, als ich meinem Hass verbal Luft machte, mehrfach die Phrase brauchte „Rudolf Augstein muss das Blach adoptiert haben, das kann einfach nicht die selbe DNA sein!“ und sich gerade bei der kürzest möglichen Recherche herausstellt, dass es tatsächlich so ist, ist nur das Prelude zu einem der wunderbarsten Stücke, die mein Hirnaneurisma je hat spielen müssen. Und nur ein weiterer Beweis, dass Martin Walser, der natürlich der leibliche Vater sein musste, wirklich nur noch aus dem bitterbösen Plan lebt und wirkt, uns so lange und viel wie möglich Schmerzen zuzufügen.
Ich bin ja ein Mensch von Gleichmut. Ich kann dem Christlamisten, der völlig begeistert ist, genauso mit Gleichgültigkeit und Desinteresse (meinen Familientalenten) begegnen, wie dem Kreuzanbeter, der von dem Reaktionismus des Pontiflex eher in die Magengrube getreten wurde, also Randgruppen, zum Beispiel, wie die gesamte evangelische Kirche. Ich war der letzten Tage sogar derart ausgeglichen, dass ich die Trottel tolerieren konnten, die überall im Internet meiner Sache als Ablehner der institutionalisierten Kirchen schaden, weil sie sie hemmungslos mit ihren nicht fest genug zurückgehaltenen Gedanken besudeln. Als ich aber den Satz las
[…]So viel Gewicht hat nun der Vatikanstaat nicht, mit seinen 993 Einwohnern und einer Wirtschaftskraft, die in etwa der von Lummerland entspricht. Es sei denn, man rechnet die Herstellung von Seelenheil zu seiner Exportindustrie, in welchem Fall sein Bruttosozialprodukt jeden Maßstab sprengen würde.
und dann auch noch erleben musste, wie er fortfährt
[…]es ist Sache der Kirche, wie sie ihre inneren Angelegenheiten regelt. Nicht-Katholiken kann der Zölibat und die kirchliche Benachteiligung der Frau egal sein. Wer katholisch ist und diese Dinge anders sieht, soll innerhalb der Kirche um Reformen ringen – oder austreten.
und sich dann auch die Kirsche für Obendrauf nicht sparen kann
Wir brauchen den Papst zum Beispiel, weil das deutsche Forschungsministerium mit öffentlichem Geld die Entwicklung eines Tests fördert, der ohne jedes Risiko für die Mutter feststellt, ob ihr Baby das sogenannte Down Syndrom aufweist. Dieser Test hat nur einen Zweck: Selektion. Ethik und Politik sind nämlich nur manchmal deckungsgleich. Es kann nicht schaden, in Rom einen sitzen zu haben, der mit uns über die Conditio humana in einer Zeit spricht, in der wir glauben, uns mit nichts abfinden zu müssen, in der wir für alles vorsorgen wollen und keine Gefahr mehr laufen mögen – und am Ende doch alle sterben.
Wer sich da jetzt, in und außerhalb des Parlaments, in aller Selbstgerechtigkeit seinem rechtschaffenem Protest gegen den Papst hingeben will, sollte sich daran erinnern, dass die Kirchengeschichte älter ist als die Abtreibungsdebatte und das Mysterium der menschlichen Existenz tiefer als die Frage nach der Homo-Ehe.
war es um mich geschehen. Ich war verliebt. Verliebt in Schreien. Irritierte Gesichter starrten mich an, als ich brüllend und kreischend, die Kleider mir vom Leibe reißend durch die Ambulanz rannte und aus einem Fenster sprang. Kollegen waren verschreckt, mühsam zu Patienten aufgebaute Vertrauensverhältnisse in tausend Scherben zerbrochen. Worte wie „Hexenverbrennung“, „Inquisition“, „AIDS“, „Überbevölkerung“, „Unerträgliches Leid“ und „Kreuzzüge“ mischten sich eher schwierig zu verstehen in ein schleifend-schäumendes Grunzen, das die Kapitulation vor der mehrdimensionalsten aggressiven Dummheit markiert, die dem Chronisten des menschlichen Geistes überhaupt bekannt ist. Man kann nur mit einer gewissen Menge an Ebenen, auf denen etwas abartiger Durchfall ist, zurecht kommen, bevor der Verstand ein erlösendes TILT von sich gibt und außer Rot den Augen nichts mehr zu sehen ist.
Und der Spiegel? Ödipus mag seinen Vater erschlagen haben, weil der ihm forsch von links die Vorfahrt nahm – der hier sich uns zeigende Vatermord aber ist bilderbüchlicher, als alles Dagewesene. Seit des guten Augsteins Tod degeneriert der Spiegel zusehens, das Online-Portal kann schon seit Jahren kaum mal einem Artikel vorweisen, den mehrere 1-Baht-Volontäre in mehrstündiger Gewaltarbeit gemeinsam wenigstens auf das orthografische Richtigkeitsniveau eines Volksschul-Diktats gequält hätten.
Vielleicht ist es Gnade, dass es Jakob Augstein gibt, der dem Medium den Gnadenstoß von Innen gibt. Es mag Gnade sein, aber wahrlich, die Gnade ist grausam.
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