Ich habe ein Problem. Etwa zweimal im Jahr packt mich der unstillbare Hunger auf Hot Wings und dann finde ich mich zu meiner eigenen Irritation über einem großen Eimer Frittiergeflügel bei KFC sitzen und solange Panadeteilchen in mich hinein dreschen, bis das seltsame Gelüst vollständig durch Selbstekel ersetzt ist. Es ist nicht schön, aber es muss sein. Die Herstellung einer adäquaten Substituationstherapie im Schutz meiner eigenen vier Wände war ein regelmäßig kläglich scheiterndes Unterfangen. Wer sich schon mal mit Fried Chicken beschäftigt hat, weiß, dass es deutlich einfachere Dinge gibt. Kreise quadrieren. Fagott lernen. Aus Haushaltsgegenständen eine Neutronenbombe bauen. Solche Sachen.
Durch Sean Brocks fantastisches Buch „Heritage“ habe ich mich in letzter Zeit viel mit Southern Cooking befasst – und ich stolperte auch wieder über meinen alten Erzfeind, die Hochveredelung von Hühnerteilen im heißen Fett. Der Eifer packte mich wieder. Mit ausreichend Übermut bewaffnet – und diesmal auch unter Kenntnis etlicher guter Quellen für Rezepte – ging es ans Werk. Normales Huhn reicht nicht aus; mein Hunger ist nach Hot Wings, und nicht weniger als Nashville Hot Chicken versprach, mein garstiges Suchten zu stillen.
Nashville Hot Chicken, für den Uneingeweihten, ist ein perfekt frittiertes Hühnchenteil, dessen Zubereitung auf „…und dann übergießen wir es mit einer Mischung aus Butter, Schmalz, Zucker und einer Tonne Cayenne-Pfeffer“ endet. Wem das wie genau die Sünde gegen Gott erscheint, die es ist, der möge sich jetzt vorsichtig rückwärts wieder aus der Tür bewegen. Aber liebe Freunde, glaub mir: Diese Sünde ist den kleinen Abstieg in den Keller der Schöpfung wert.
Bevor wir denn aber überhaupt mit rudernden Armen das Essen nachfetten können, muss erst einmal Kriterium No. 1 erfüllt werden, namentlich Hühnchenteil, perfekt frittiert, das. Hierfür brauchen wir an erster Stelle: Huhn. Puristen nehmen das komplette Tier auseinander – ich machte weniger Aufhebens und kaufe einfach Oberschenkel-Keulen, westfälisch: Bollen. Ich mag das Format, ich finde das Verhältnis von Oberfläche zu Haut sinnvoll und nur eine Variante zuzubereiten, hat den großen Vorteil, dass alles gleich schnell gart. Pro Person braucht man drei bis sechs Keulen, je nach Mächtigkeit des Appetits. Die Stücke werden mit ca 1 TL Salz pro 6 Keulen vermischt und über Nacht in den Kühlschrank gepackt .. ehrlicherweise ist dieser Schritt aber optional und ich habe darauf verzichtet. Der Hunger war schließlich jetzt. Für die Marinade mischen wir 300 ml Buttermilch, 1 Ei, 75 ml Gurkenwasser und 2 TL Hot Sauce (Louisiana-style, also zB Tabasco). Darin werden die Fleischstücke 2 bis 4 Stunden im Kühlschrank mariniert. 2 Tassen Mehl (405er) mit 4 TL Salz vermischen, die Hühnerteile abtropfen, in Mehl wenden, noch einmal in Buttermilch tunken und erneut in Mehl wenden. Der große Trick ist übrigens, das Mehl in eine Papptüte zu tun und zu schütteln – das kürzt das Geschäft des Mehlierens drastisch ab und man kann danach alles en bloc gen Müllberg schleudern. Der nächste Schritt ist ausgesprochen wichtig für das Ergebnis: Auf einem Rost – von unten soll Luft daran kommen können – mindestens eine halbe Stunde stehen lassen. Eher länger.
In der Zwischenzeit mischen wir pro sechs Stücken einen großen EL Schmalz mit einem großen EL Butter, 1 ordentlicher EL Honig oder Ahornsirup, 2 -3 EL Cayenne Pfeffer, 1/2 TL Knoblauch- und Zwiebelgranulat, 1/2 TL schwarzem Pfeffer und Salz und 1 TL Pimenton. Das ganze wird nur kurz erhitzt. Nach mindestens einer halben Stunde Wartezeit werden die Stücke in 175°C heißem Öl für etwa 8 Minuten ausgebacken. Dafür bietet sich eine hohe Pfanne an, die wir mit ausreichend Öl füllen, ich schätze ca 4 cm hoch. Ein weiterer wichtiger Schritt ist, die Stücke zweimal zu drehen; dadurch ergibt sich ein Doppelfrittiereffekt, heißt: Die Kruste wird noch krosser und luftiger. Stücke abtropfen und auf einem Rost ablegen. Sobald die Kruste nicht mehr glänzt, gießen wir vorsichtig etwas von unserer Schmalzbutter darüber, wenden und begießen auch die andere Seite. Mir wird glaubhaft versichert, dass das Frittiertier in Nashville in einen Kübel mit dem Zeug getunkt wird und ich zweifele keine Sekunde daran. Das ist sicherlich, was Jesus tun würde, wäre er Amerikaner und in einem Trailer Park geboren. Für die häusliche Anwendung ist dieses System nicht sinnvoll, glaube ich. Man bräuchte exorbitant große Mengen des Glaze, um schön tunken zu können. Wenn man einmal mit sowas anfängt, hat man, ehe man sich’s versieht, ein Hühnchenfrittierrestaurant.
Serviert wird das ganze mit geschnittenen Dillgürkchen und billigem, weißem Brot. Ich brauchte auch Coleslaw dazu. Der Vorgang des Essens ist dann kein schöner Anblick: Saft spritzt, Panadenteile fliegen, Schweiß rinnt das Gesicht herunter. Die Hände sind bis über das Handgelenk voller Fett. Mit pappigem Brot wird gierig auch der letzte Tropfen salzigsüße Schmalzbutter aufgenommen und mit einem Vigor verspiesen, als wäre es das letzte Stück Essen auf der Welt. Nicht zuletzt sieht die Küche aus wie ein Testiment zu der Wirksamkeit von Bombenkrieg. Aber! Es lohnt sich. Oh, wie es sich lohnt. Saftigeres, knusprigeres Hühnchenfleisch haben diese Lippen noch nicht gekannt. Nobler kann ein Huhn nicht werden. Und mich – mich sieht Colonel Sanders nie mehr wieder.