Archiv für Dezember, 2011

Großer Kneipencheck – Göttingen

Posted in ... weiter nichts als Bier, Geld gegen Essen - Restaurantnörgeleien, Getestet, smile and look alive on 25. Dezember 2011 by Herr Grau

Der Mensch lebt bekanntermaßen nicht vom Brot allein. Wenn der Freizeit zur Pflicht ins Horn gestoßen wird, auf dass man sich sammele und die gegenseitige Gesellschaft in Anwesenheit entsprechender Soziallubrikanzien genieße, ist es von Vorteil, die einschlägigen Etablissiments zu kennen. Zu diesem Zweck will ich einen kurzen Abriss über die Möglichkeiten geben, die dem unschlüssigen Kneipenconnoisseur zur Wahl stehen. Die Stadt, um die es sich handelt, ist die meiner Residenz: Göttingen

Irish Pub
Im Herzen der Altstadt gelegen findet sich der Irish Pub in einem schönen alten Fachwerkbau und im Sommer optionalem Biergarten. Das gut ausgeführte Pub-Thema täuscht recht suffizient darüber hinweg, dass die Besitzer alles sind, aber keine Iren. Dezentes Arabisch ist an der Theke eher zu hören. Die Auswahl an Bieren, Ales und Whiskeys ist sehr gut und auch preislich erträglich gestaltet, häufig wertet Livemusik das gelungene Ambiente noch weiter auf. Die Kellnerinnen arbeiten auf Kommission, was sie aber aus irgend einem Grund nicht zu Freundlichkeitseskapaden motiviert. Heißt: Der oft aus kaum Deutsch sprechenden Frauen bestehende Service ist gerne einmal mürrisch. Außerdem ist es Hauspolitik, das jedes gebrachte Getränk sofort abkassiert wird, was schon den Fluss des Abends stört. In Kürze: Laden mit guter Atmosphäre und Auswahl, aber kleinen Schwächen.

Mr. Jones
Auch das Mr. Jones am Rande der Altstadt wird von einem geschäftstüchtigen Araber geführt, der in Konfliktsituationen mit unangenehm sehr wohlwollend umschrieben ist. Das Ambiente ist durchschnittlich, die Getränkeauswahl gut, wobei die Cocktails eher unteres Mittelmaß sind. Preislich erträglich, der Service ließ mehrfach schon etwas zu wünschen übrig. Bestellungen wurden vergessen und es brauchte teils erstaunlichen Aufwand, um überhaupt die Aufmerksamkeit einer der Servierhilfen zu ergattern. Für mich eher eine Ausweichlösung.

ZAK
Am Wochenmarkt schräg gegenüber vom Café Einstein liegt das Zak. Die Räumlichkeiten sind schön, das Personal nett und fleißig, entsprechend füllt sich der Laden auch flott, Reservierung ist angeraten. Positiv anzumerken ist das recht gute Essen und die respektabele Getränkekarte, auch wenn beides gefühlt einen Tick zu teuer ist. Trotzdem eine klare Empfehlung.

Nautilus
Ich kann mir nicht merken, ob es noch Nautilus heißt oder Nautibar, ist ja auch wurscht. Ebenfalls in der Innenstadt lokalisiert, liegt diese Befüllungsanstalt weitestgehend unter Tage, hat dort aber erstaunlich große Räumlichkeiten zu bieten, in denen man vom zügigen und freundlichen Service mit ein bisschen Pech einen der berühmten „Tiefseetaucher“ serviert bekommt. Vorsicht: Dieses Getränk besteht zu mehr als dem dreifachen seines Volumens aus Alkohol. Der Unterschied zwischen Tiefseetaucher und Hammer an den Kopf? Der Hammer schmeckt besser.

Thanners
Das Thanners am Wilhelmsplatz ist eine der Traditionsadressen in Punkto Ausschankhandwerk. Der verwinkelte Laden ist fast immer voll, die mächtige Theke ist ein Eckdatum des deutschen Willens, Holz in Form zu schnitzen. Die Geschichte hängt merklich in den Räumlichkeiten und gibt dem Ort etwas altehrwürdiges. Für meinen Geschmack leider meistens zu voll, Tische sind rar und das am Tresen Sitzen des Durchgangsverkehrs wegen hektisch, sodass ich das Potential der Hallen nie genießen kann.

Trou
Das Trou ist nur eine Straße weiter vom Thanners und eine absolute Ausnahmeadresse, es handelt sich nämlich um einen alten Gewölbekeller. Was für einen Klaustrophobiker sicher die größte Katastrophe seit „Schrei“ (Kaulitz et al. 2005) ist, stellt für mich einfach das großartigste dar, was im Rahmen der menschlichen Architektur überhaupt möglich ist. Die Atmosphäre, die ein kerzenilluminiertes Gewölbe aus schwarzem Naturstein verströmt, ist unbezahlbar. Das Trou ist nicht groß und wird eigentlich fast immer nur von einem Thekenmann allein bewirtschaftet, was dazu führt, dass man ab und an mal länger auf sein Bier warten muss. Die Beziehung zu seinem Bierpatron ist aber freundlich und persönlich und so kann man mit diesem Makel eigentlich sehr gut leben.

Nooners
Was heute „Nooners“ heißt, ist die alte Akademikerkneipe am alten Campus am Kreuzbergring. Früher trank dort der gesamte Lehrstab und die distinguierte Professerie, heute wird nur noch der sporadische Anatom dort gesichtet, der des Nachmittags auf eine Weinpause dort einkehrt. Primär ist das Nooners aber zu einer Kneipe für Studenten gediehen – und neuerdings auch lautem, unangenehmem Pöbel, was auf die geänderte Politik des neuen Besitzers zurück geht. Wer auf Publikumsakquise durch flächendeckendes Zeigen von „Bauer sucht Frau“ setzt, zieht unweigerlich ein gewisses Publikum an. Ebenfalls abgeschafft sind die Aktionstage, die geliebten Frittierplatten und das erstaunlich gut sortierte Fuselkabinett. Inzwischen besticht das Nooners leider nur noch mit seiner Lage und dem angebotenen Landbier.

Blooming Bar
Die Blooming Bar ist wohl primär eine Schwulen- und Lesbenkneipe, aber das sollte einen vom Besuch nicht abhalten. Die Räumlichkeiten sind nämlich schön, das Publikum ruhig und der Service super und freundlich. Mit Sicherheit ein Geheimtipp.

Sausalitos
Sausalitos ist natürlich Kette samt dem zweifelhaften Charme, den so ein Betrieb mit sich bringt. Cocktails lohnen nur in der Happy Hour, sind von sehr mittelmäßiger Qualität und der Fusel macht schon manchmal Kopp. Ist eben auf Gewinn optimiert. Genauso verhält es sich mit dem Kellnerstab, der chronisch überfordert scheint, da er immer auf Hochdruck laufen muss. Toll kalkuliert. Auch macht das Sausalitos zu, wenn es sich betriebswirtschaftlich nicht mehr lohnt, die Tore geöffnet zu lassen, so wird man dann selbst in größerer Gruppe auch gerne mal um zehn vor zehn vor die Tür gesetzt. Die Platzausnutzung ist ebenfalls maximiert, sodass etwas Massenabfertigungsfeeling und wenig Privatssphäre aufkommt.  Die Burger allerdings sind von sehr überzeugender Qualität und Montag, wo es sie zum halben Preis gibt, sogar bezahlbar. Für mich daher an Montagen eine viable Alternative.

Hemmingway’s
Hier haben wir es mit einer kleinen Kneipe am Kreuzbergring zu tun, die für bezahlbar Geld eine erstaunlich gute Küche bietet. Der Service ist nett und persönlich. Leider ist auch diese Kneipe häufig bis unter’s Dach voll, da sich die Güte der Einrichtung inzwischen wohl herumgeschwiegen hat.

Villa Cuba
Am alten Rathausplatz in der Innenstadt findet sich das einzige Gasthaus im Großraum Göttingen, auf dessen Toilette man die Reden Fidel Castros hören kann. Das ist natürlich erst mal ein Schild zum Aushängen. Die Kneipe selbst ist recht nett hergerichtet und auf kubanisch romantisch verfallen getrimmt. Man kann hier sehr gut frühstücken, die Küche ist ebenfalls ganz in Ordnung, die Cocktails einen Ticken teuer. Alles in allem aber wirklich immer nett.

Café Schröder
Coole kleine Kneipe in den Räumen des ehemaligen Jacobinerstübchens. Leider sind besagte Räumlichkeiten eher klein geraten, sodass ich schon wesentlich öfter vor einem gerappelt vollen Laden stand, als dass ich tatsächlich mal herein gehen konnte. Eine Empfehlung für jeden Fachmann der Schlacht am kalten Buffet, der die Herausforderung selbst beim Ergattern eines Platzes sucht.

Myer’s
Mehr Restaurant als Kneipe, bietet das Myer’s die Möglichkeit, unter den verbitterten und leicht übergewichtigen Mittdreißigern der Region zu sitzen und zu speisen. Das Interieur ist irgendwie mit modern-künstlerischer Farbgestaltung auf Hip getrimmt, verströmt dabei aber eher den fragwürdigen Charme einer Kette. Der Service im Myer’s ist allerdings schnell und zuvorkommend und das Essen sehr gut. Mir persönlich missfällt es trotzdem etwas.

Café Einstein
Ebenfalls am Wochenmarkt gelegen bietet das Einstein auf zwei Etagen recht wohlige Atmosphäre. An schlichten Holztischen findet man ein Publikum eher gehobener Betragensweise, dem entspricht auch Service, Küche und Getränkekarte. Das Essen ist bemerkenswert gut, aber eben etwas auf fancy gezüchtet, in meinen Augen schon recht gewollt. Die uniformierten, ästhetisch ansprechend ausgewählten Kellner arbeiten schnell und akkurat und zaubern so die gute Trunkauswahl und die tatsächlich recht hochklassigen Cocktails im Handumdrehen auf den Tisch. Man bezahlt dafür zwar leicht gehobene Preise, für das Dargebotene verbietet sich aber jedwedes unqualifiziertes Genörgel darüber kategorisch.

Déjà Vu
Wenn man im Deschawüü geendet ist, dann hat der Abend meistens seinen Zenit so weit hinter sich wie Anita Ekberg Schönheit. Eine abgerissene Pinte an der Ecke beim Sausalitos, die hauptsächlich dazu anstiftet, die Thekenkraft zu bemitleiden und sich zu fragen, ob in den servierten Shots tatsächlich noch Alkohol ist.

Zum Schwarzen Bären
Zum Abschluss das einzige wirklich abschreckende Beispiel, das ich die göttinger Kneipenlandschaft kenne. Ohne Ende unfreundlich, wir wurden kurzerhand heraus geschmissen, weil unsere Visagen dem Chef nicht passten. Finger weg!

Bis jetzt nicht bewertet: SonderBar

Subway, Stamps und die Subcard

Posted in smile and look alive on 18. Dezember 2011 by hoegi

Seit jetzt fast zwei Wochen haben die Stamps (altdeutsch: Bonusmarken) bei Subway in Deutschland ausgedient und wurden durch die sogenannte Subcard ersetzt. Grund genug für mich mal nachzurechnen, wer davon überhaupt Vorteile hat.

Früher gab es bei Subway bekanntlich diese Stamps. Man bekam eine leere Karte mit 8 Feldern, die widerum jeweils Platz für einen Stamp boten. Einen Stamp bekam man für ein reguläres halbes Sub (ausgenommen beispielsweise „Sub des Tages“ oder Schülermenü). Wenn man also 8 halbe Subs (entsprechend 4 ganzen Subs) verzehrt hatte, gab es beim Kauf eines großen Getränks ein halbes Sub nach Wahl dazu. Eine Beispielrechnung:
Ich kaufe 8 halbe Subs zum Preis von jeweils 3,99€ (im Durchschnitt). Dann habe ich 31,92€ bezahlt und bekomme, wenn ich nochmal 1,99€ für ein Getränk investiere ein Sub im Gegenwert von maximal 4,49€. Kosten von 33,91€ stehen ein Nutzen von 4,49€ gegenüber. Das entspricht einem Rabattwert von rund 13 Prozent. Noch besser wäre die Quote, wenn ich 4 ganze Subs bestellen täte. Zu den 3,99€ kommen dann noch 2,50€ für das Verdoppeln obendrauf, also sind wir bei 6,49€ für ein großes Sub. Derer vier kösteten dann 25,96€. Plus den obligatorischen Softdrink und wir sind bei 27,95€. Hier liegt der Rabattwert sogar bei 16%.

Jetzt die Subcard:
Pro 0,15€ Einkaufswert erhält man bei Subway jetzt einen Punkt. Ich gehe davon aus, dass diese Punkte nicht nur auf Subs, sondern das gesamte Sortiment angerechnet werden können. Also auch den Kaffee zwischendurch, die Cookies oder die Getränke.
Für 500 gesammelte Punkte erhält man ein halbes Sub nach Wahl. Aber wieviel muss ich bei Subway kaufen, um so weit zu kommen?
Pro bezahltem Euro, erhält der Kunde 6,666 Punkte. 500 Punkte geteilt durch 6 2/3 Punkte entsprechen 75€, die aus meiner Tasche zu Subway wandern müssen! Meine Herren. Der Rabattwert ist auf satte 6% gesunken!

Das Resumee der Zahlen: Nicht so gut.

Ich versuche es dennoch zähneknirschend positiv zu sehen. Die Stamps gingen bei mir regelmäßig verloren, oder ich bekam einfach nie welche, weil ich irgendwelche Rabattaktionen genutzt habe. Ergo hatte ich kaum Chancen, das alte System zu nutzen. Das neue System funktioniert z.B. auch auf Smartphones, welches, wenn man denn eines besitzt, immer am Mann ist. Wenn ich also daran denken sollte mein Handy zu zücken und, und das ist noch viel wichtiger, jetzt auf jeden Betrag den ich bei Subway loswerde auch Punkte bekomme, unabhängig davon, ob durch eine Rabattaktion bedingt oder nicht, dann habe ich etwa den gleichen Nutzen wie von der alten Stempelkarte. Immerhin.

Damast, Wootz, Tamahagane und ihre Verwendung für Schneidwaren

Posted in Scharfe Messer on 8. Dezember 2011 by Herr Grau

Dieser Artikel ist vermutlich schon länger überfällig. Kaum einen Sachverhalt erörtere ich noch so oft, wie die Frage nach dem Sinn von Damast als Messermaterial.
Jetzt stelle ma uns mal janz dumm und frare: Wadd isene Damast?
Wenn diese Frage einfach zu beantworten wäre, hätte ich nicht vor Schreibbeginn laut gestöhnt und mich ausgiebig gestreckt. Der Leser sei gebeten, noch einmal aufs Klo zu gehen, sich einen heißen Kakao zu holen und sich zurück zu lehnen – das könnte jetzt ein bisschen dauern. Oder anders gesagt: Der alte Mann packt seine schon zu Sagen gereichende Strukturlosigkeit aus.

Schmelzdamast

Der eigentliche Damaststahl wird heute Wootz oder Bulat genannt und bezeichnet einen Stahl, der bis in 18te Jahrhundert im Orient hergestellt worden ist. Warum das Geheimnis seiner Herstellung verloren ging, ist nur zu erklären, wenn man einen kurzen Exkurs in die Metallurgie überstanden hat: Wootz wird zu einem „König“ genannten Barren aus Eisen, Sorel, Kohle, Blättern und Glas erschmolzen. Im Gegensatz zu der in Europa üblichen Stahlgewinnung im Rennofen findet hier also eine echte Schmelze statt. Das Glas schwimmt in der Schmelze auf und verhindert, dass Luftsauerstoff daran kommt und den Kohlenstoff verbrennt. Das Ziel der Schmelze ist, das Eisen aufzukohlen, um einen härtbaren Stahl zu erhalten und das berühmte Damastmuster zu erzeugen, das den fast mystischen Ruf der orientalischen Waffen über Jahrhunderte auszeichnete. Das Geheimnis dieses Musters ist das Sorel-Eisen, das im Prinzip als Träger von bestimmten notwendigen „Verunreingungen“, v.A. Vanadium, Niob, Molybdän und Mangan, fungiert. Diese Legierungselemente bilden die Kristallisationskeime, an denen sich die Austenitnadeln bilden (Austenit ist eine der Kristallkonfigurationen von Eisenlegierungen), die am Ende für das Muster des Stahls verantwortlich zeichnen. Man geht davon aus, dass die Erschöpfung bestimmter Minenstätten im Orient dazu geführt hat, dass im Ausgangserz die notwendigen Verunreinigungen nicht mehr vorhanden waren. Trotz richtiger Schmelz- und Schmiedetechnik erhielten die Handwerker also plötzlich keinen Wootz mehr. Dass das Geheimnis um die Herstellung danach verloren ging, ist mehr als plausibel. Erst vor etwa einem Jahrzehnt gelang es Schmieden aus Deutschland und Russland, die Geheimnisse um die Herstellung zu entschlüsseln. Sie forschten öffentlich, sodass es jetzt wieder eine Handvoll Schmiede gibt, die dieses Material herstellen und verarbeiten können. Wootz muss allerdings sehr kalt und hart geschmiedet werden, wird er zu hoch erhitzt, geht das erarbeitete Gefüge kaputt. Die Arbeit ist also sehr konzentrationsintensiv, schwierig und anstrengend. Obgleich die Leistungseigenschaften des Stahls schlecht untersucht sind, handelt es sich um ein Material für Liebhaber. Der nötige Aufwand für guten Wootz ergibt einen heftigen Preis für den Endverbraucher, ohne dass von Vorteilen bei der Schneidleistung berichtet wird. Die legendäre Qualität der mittelalterlichen Damastwaffen ist immer im Verhältnis zu den Werkstoffen der Zeit zu sehen. Wer aber von den faszinierenden Mustern des Stahls gebannt ist und das Kunsthandwerk unterstützen möchte, den kann ich natürlich nur darin bestärken, sich eine Wootzklinge zuzulegen.

Schweißdamast

Der Versuch der europäischen Schmiede, die Musterung des Damaszenerstahls nachzuahmen, resultierte in dem, was wir heute als Damast kennen, was aber korrekterweise Schweißverbundstahl oder Schweißdamast heißen müsste: Nimmt man mehrere Stähle, die, wenn man sie ätzt, unterschiedlich hell zeichnen, und verschweißt und faltet sie immer wieder, so kann man ein Stahlbild erzeugen, das dem Vorbild zumindest ein wenig ähnelt. Liest man diese Theorie bei Wikipedia nach, so wird man auf die Behauptung stoßen, sie sei unwahrscheinlich, da „damaszierte“ Klingen schon lange vorher hier bekannt waren. Bei solchen Sätzen muss ich natürlich einmal lang und tief durchatmen. Stahl wurde in Europa wie in Japan noch bis die Neuzeit im Rennofenverfahren gewonnen. Dabei wird Eisenerz (in Europa häufig Rasenerz, in Japan Eisensand) mit Nadelholzkohle zu Renneisen verhüttet. Es tritt hierbei keine Schmelze, sondern eine Reduktion des Eisens mit Ausschlackung der Verunreinigungen ein, das Ergebnis wäre sonst viel zu hoch aufgekohltes Gusseisen. Das Ergebnis, die s.g. „Luppe“, ist ein sehr inhomogener Stahlschwamm, der jetzt „gegärbt“ werden muss, also im Feuer gereinigt und homogenisiert. Zu diesem Zweck wird er im Feuer immer wieder verschweißt und gefaltet. Klingelt was? Das haben wir schon mal gehört. Als die Schmiede hierzulande versuchten, die Damastklingen aus dem Orient nachzubilden, bedienten sie sich natürlich der Techniken, die sie kannten. Der Sinn ist aber genau entgegengesetzt: Während das Gärben das Ziel hat, einen möglichst homogenen Raffinierstahl zu erzeugen, hat das Damaszieren den Sinn, mehrere homogene Stähle zu einem kalkuliert inhomogenen Werkstoff zu vereinen. Der Unterschied ist vor allem die Zahl der Faltungen. Ein Raffinierstahl wird öfter gefaltet und wird dadurch überall sehr gleich; bei einem Damaststahl wäre an dem Punkt die völlige Sinnlosigkeit erreicht.
Es gibt mehrere Möglichkeiten, wie man Damast erzeugen kann. Immer beliebter wird die Herstellung von pulvermetallurgischem Stahl (Damasteel™), wobei die Muster durch Metallstaubschichtungen erzeugt werden, die dann zusammengesintert werden. Als Vorteil ist anzuführen, dass sehr komplexe Muster erzeugt und auch rostträge Stähle verarbeitet werden können. Gerade für Schmuckstücke und rostfreie Damastmesser wird das Material daher gerne genommen. Rostträge Stähle sind deshalb schwer von Hand zu damaszieren, weil das enthaltene Chrom eine Chromoxid-Schutzschicht (genau das, was auch vor Rost schützt) ausbildet, die Schweißungen verhindert. Es ist fertigungstechnisch aber möglich und wird sowohl industriell in der Walzlaminatherstellung gemacht, wie auch von erfahrenen Damastschmieden wie Markus Balbach oder Achim Wirtz von Hand. Generell ist das Merkmal „rostfrei“ in Kombination mit dem Wort „Damast“ immer das Signal, dass alle Warnlampen angehen müssen, einen einfacheren Weg, billige Massenware als solche zu erkennen, gibt es selten. Ausnahmen werden sich mit der zertifizierten Herkunft ihres Stahls schmücken (also entweder der Schmied oder Damasteel), denn das Material ist sehr teuer.

Die wichtigste Trennung, die sich hier aber findet, ist die zwischen Zier- und Leistungsdamast. In den allermeisten Fällen, wenn ich von „Damastmessern“ höre, ist die Klinge aus fertigem Walzlaminat hergestellt, wobei die Randlagen aus industriellem Zierdamast bestehen, in dessen Mitte eine Schneidlage aus Monostahl eingelegt ist. Dass diese Klingen keinen Vorteil gegenüber einer normalen Dreilagenklinge haben, ist denke ich selbsterklärend. Da dieses Standardmaterial rostträge ist, hat es sogar massive metallurgische Nachteile gegenüber dem von den günstigeren japanischen Schmieden verwandten industriell hergestellten Dreilagenstahl, der als Schneidstahl gediegenen Papierstahl mitbringt. Auch etliche hochpreisige Messer haben nur Zierlagen aus Damast, dann aber teilweise von Hand geschmiedet; in Japan zB findet man so gut wie keine Messer, deren Schneidlage aus Damast besteht. Hier ist der handwerkliche und ästhetische Mehrwert sicherlich höher, für die Qualität der Schneide tut das aber nichts. Wirklich interessant wird es erst, wenn wir uns dem Damast als Schneidenstahl zuwenden.

Leistungsdamast entspringt dem ebenfalls früh in der Damastherstellung präsenten Gedanken, die guten Eigenschaften mehrerer Stähle miteinander zu kombinieren. Es werden unterschiedlich legierte Stähle eingesetzt, um die Schneide mit dem besten aus den beiden Welten hart und zäh zu versehen. Art der Faltung und Zahl der Lagen, vor allem aber Auswahl des Ausgangsstahls ist eine Frage der Erfahrung des Damastschmieds und nicht unbedingt alltäglich. Einen prüfenden Blick in Richtung Balbach, Stienen oder Wirtz zu werfen, ist daher mehr als empfehlenswert. Tatsächlich zeigen die wenigen Untersuchungen, die es zu dem Thema gibt, dass Damast eine erstaunliche Festigkeit und Schärfe bietet. Hierbei spielt aber wohl auch ein Faktor eine Rolle, an den vorher wenig gedacht worden ist: Die Schweißgrenzen zwischen den Lagen bilden eine Kristallisationsgrenze, sodass das Gefüge potentiell feiner werden kann, als bei einem Monostahl. Ein guter Leistungsdamast mit feiner Struktur hat also tatsächlich das Potential, bessere Schneideigenschaften zu haben, als sein homogenes Äquivalent ( – es ist übrigens sehr fraglich, ob dieser Effekt bei gesinterten Stählen ebenfall auftritt). Der Preis für solche Messer ist aber sehr hoch. Güde hat eine Serie mit Balbach aufgelegt, dort kann man sich mal preislich orientieren.

Raffinierstahl

Als letztes gilt es jetzt noch, den Raffinierstahl abhandeln, der auch immer wieder Punkt von Diskussion (und Habenwollen-Reflexen) ist: Dieser Stahl, vor allem im Fokus steht der japanische, in dem Tatara genannten Rennofen gewonnene Tamahagane (Juwelenstahl), zeichnet sich durch ein sehr feines Faltungsmuster aus, hat aber technisch gesehen keine Vorteile gegenüber hochreinen Schneidstählen.
Hitachi entwickelte die traditionelle Stahlherstellung zu einem industriellen Prozess weiter, das Ergebnis ist der s.g. „Papierstahl“ (depperterweise tatsächlich nach dem Packpapier benannt, in dem er geliefert wird…), der auch heute noch als bester Schneidstahl der Welt gelten kann, auch wenn hiesige Stähle (z.B. Kugellager- oder Feilenstahl) ebenfalls von extrem hoher Qualität und Reinheit sind. Gängig sind Weißpapierstahl (Shirogami) und Blaupapierstahl (Aogami), wobei letzterer mit Wolfram, Chrom und Mangan legiert ist, dadurch etwas zäher, aber weniger scharf ist. Der Stahl kann als dem Tamahagane ebenbürtig angesehen werden. Es ist zwar überaus bemerkenswert, dass die japanischen Schmiede schon vor hunderten von Jahren einen Stahl herzustellen wussten, der auch von heutigen Produkten in seiner Qualität kaum geschlagen werden kann; der gewaltige Aufwand, den Stahl von Hand zu erschmelzen, die Luppe zu brechen, sortieren, binden und zu dann zu gärben, steht aber in keinem Verhältnis zu dem Ergebnis. Ein Messer oder Schwert aus Tamahagane oder europäischem Raffinierstahl besitzen zu wollen, ist also ein reines Haben-um-des-Habenwollens.
Nicht dass das schlecht wäre…

Fazit

Um das Ganze jetzt mal kurz und gut abzuschließen: Wootz (Schmelzdamast) und Raffinierstahl (z.B. Tamahagane) sind etwas für den Liebhaber, das von technischer Seite her keinen Mehrwert bringt. Zierdamast ist häufig billigster, industriell erwalzter Kitsch, aber auch wenn er aus Handarbeit kommt, ist er nur etwas für’s Auge. Ein gut gemachter Leistungsdamast (also ein Damast, der wirklich die Schneide bildet) zeigt tatsächlich sehr gute Eigenschaften und hat das Potential, besser als ein Monostahl zu sein. Der Preis dafür ist aber ebenfalls sehr hoch, sodass der Mehrwert zum Aufpreis in keinem Verhältnis steht. Schneidwaren aus Damast oder Raffinierstahl sind – mit Ausnahme der billigen Augenwischerei durch Walzlaminattapeten – eine Sache für den Liebhaber oder Kunsthandwerksmäzen.