Quer über Mallorca zu Pferd auf der Moto Guzzi V7 III

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Ich hatte eigentlich vor gehabt, Mallorca nie zu besuchen. Das sogenannte 17. Bundesland ist im kollektiven Bewusstsein der Welt das inselgewordene Gedenkmonument des deutschen Pauschaltourismus und entlockt meinem sonst doch eher inerten Animus Wellen um Wellen grausigster Fremdscham. Jetzt hatte sich aber meine Fachgesellschaft überlegt, hier einen einwöchigen Kongress anzuberaumen, den ich keinstenfalls verpassen wollte. Das Schicksal ist ein kichernder Kobold unter meiner Treppe. Und langes Zögern ist ja bekanntlich etwas für Leute, die Crocs für praktische, kleidsame Schuhe und Haftpflichtversicherungen für gute Party-Konversation halten. Ergo biss ich alle meine 52 Zähne zusammen, setzte mich auf das nächste Katapult gen Palma und zog beherzt am Hebel.

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Hier ist, was von Vorurteilen zu halten ist: Mallorca ist – abseits von Calarattatata und Ballermann – wunderschön. Atemberaubend sogar. Selbst das ziemlich touristische Palma ist in seiner Altstadt nicht nur hübsch, sondern hat echten Charme und Charisma. Die Touristen freundlich und umsichtig, die Lokalbevölkerung nett und aufgeschlossen. Man denkt, man ist im falschen Film. In Anbetracht der universellen Schönheit der Insel an allen Stellen außerhalb der bekannten Ausläufer der Hölle war der Faux-Charme unseres Kongresshotels mit seiner gewollt sorgenfreien paradiesoiden Realitätsblase eigentlich eine Farce. Die Disney Regenbogenwolke verliert gegen den Zauber realer Schönheit in der ersten Runde durch K.O.

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Wir hatten vorne und hinten an die ziemlich anstrengende und zeitintensive Kongresswoche jeweils ein paar Tage Erholungsurlaub angelötet. Ein einziger Blick auf die Landstraßen genügte, und der Plan, ein Motorrad zu mieten und zwecks Hirnfreimachung diese Bilderbuchlandstraßen herunter zu donnern, hatte sich selbst aus der Taufe gehoben. Es gibt etliche Motorrad-Vermieter auf Mallorca, aber da ich in der Nähe von Palma war, fiel meine Wahl auf Vintage Motors. Sie sind zwar hauptsächlich auf Roller spezialisiert, hatten aber auch eine Moto Guzzi V7 III im Angebot – und das mit 68€ (+3€ für Versicherung ohne Selbstbeteiligung) am Tag deutlich günstiger als die Konkurrenz. Sie liefern und holen das Motorrad gegen ein schmales Endgeld wieder ab, sie sprechen gut Englisch und waren insgesamt entspannt und völlig unkompliziert. Es gibt allerdings keine Motorradkleidung zu mieten und die im Mietpreis inbegriffenen Helme sind eher als alberne Kappen zu bezeichnen. Sie sind offensichtlich für Roller im Stadtverkehr gedacht und hätten einem ernsthaften Unfall so viel entgegenzusetzen wie ein kasachischer Heuwagen einem gezielten Orbitalbombardement. Eigene Klamotten mitbringen ist also explizit angeraten.

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Die Guzzi V7 ist ein Moped, das ich schon seit geraumer Zeit testen wollte. Zusammen mit der Triumph Bonneville und meiner Kawasaki W800 ist es eines von nur drei Modellen am Markt, die mein Sinn für Ästhetik als tatsächliche Motorräder und nicht als elektrische Rasierapparate identifiziert, um mal frei mit Marv aus Sin City zu sprechen. Von den dreien hat die Guzzi fraglos den meisten Charakter. Die Bonny hat bereits auf Wasserkühlung umgestellt und Triumphs ewiges Pochen auf ihre Tradition ist recht hohles Gebrüll. Die kürzlich aufgrund des fehlenden ABS vom Markt verschwundene Kawasaki hat nicht nur noch weniger Tradition, sie ist von den drei Maschinen auch die zahmste und vernünftigste. Moto Guzzi hat von der landauf landab von jeder Motorrad-PR stets beschworenen und allzu selten tatsächlich zur Verfügung stehenden Firmentradition und Modellgeschichte schaufelweise: Sie sind der am längsten durchgehend produzierende Hersteller in Europa und haben schon querliegende Zwei-Zylinder-Vs an Stahlrähmen gebunden, als Jesus noch im Schuhgeschäft in Galilea Latschen anprobiert hat. “Mein” Donnerfahrrad mit dem Adler war für das wenige Geld natürlich das Basismodell (‘Stone’), hatte fast 40tsd auf der Uhr und trug ein Kleid, das von hartem Tagewerk sprach. Für mich hätte sie schöner nicht sein können.

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Eh man sich’s versieht nimmt man auf dem Sitz der Guzzi Platz. Mit meinen 1,90m kann ich auf dem Bock bequem sitzen, ohne dass meine Knie von den Fußrasten unter mein Kinn genagelt werden. Alles ist problemlos zu erreichen, einzig muss ich mich für den Lenker einen Ticken weit nach vorne lehnen. Der Sitz war auch nach einem Tag im Sattel noch sehr bequem, hier gibt’s volle Punktzahl, zumindest für den Fahrer. Mit einem wütenden Gurgeln und dem charakteristischen Schütteln erwacht der querliegende Langhuber aus dem Schlaf. Und verabschiedet sich mit einem unspektakulären Geräusch von Enttäuschung direkt wieder in eine unruhige Kurz-Siesta – denn der Motor neigt aufs übelste zum Absaufen. Man lernt schnell, dass expressive Leidenschaft am Kupplungshebel fehl am Platze ist und beim Anfahren die Kurbelwelle ihr Stammgeschäft des Kurbelns besser bereits schon mit Eifer betreiben sollte. Ansonsten darf man mitten auf einer Kreuzung die zweite nervige Kapriziose der schönen Italienerin kennen lernen: Sie lässt sich schlechter in den Leerlauf schalten als jedes andere Motorrad, das ich je unterm Bobbes hatte. Und während ich das moglichweise noch dem geschundenen Zustand des Mietesels zurechnen mag, wäre es einfach kein guter Witz, wenn man aus mir völlig unklaren Gründen die Maschine nicht auch nur im Leerlauf anlassen könnte – anstatt mit gezogener Kupplung wie jedes andere Motorrad, Mofa, Roller, Kickboard und preußische P90 im bekannten Universum. Wer sich das ausgedacht hat, gehört mit einem halbgefrorenen Seelachs verprügelt.

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Der herrlich anachronistisch luftgekühlte Quer-Zwo klingt leider erschütternd bedauernswert. Im Stand geht es noch, aber während der Fahrt hört man fast nur ein weinendes Pfeifen aus den hagen Flöten. Es schneidet tief in jede ehrliche Männerseele, wie grausam dem schwarzen Herz der Guzzi der Emissionsschutz den Mund zugebunden hat. Man fühlt in der Tiefe seines Bauches, wie die Kammern in der Brust der Maschine schlagen und toben und die Welt davon wissen lassen wollen. Es ist ein Affront gegen Gott und alles was gut und richtig ist. Ein neuer Auspuff sollte für jeden Besitzer weiter oben auf der Einkaufsliste stehen als so überflüssige Dinge wie Essen, fließend Wasser und Kleidung.

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Das Aggregat entfaltet, wenn man denn erstmal fährt, von unten an sehr ordentlich Kraft und zieht nachdrücklich an, bis es fast sofort wieder in den harsch stehenden Begrenzer hagelt, der der Bauart ärgerlicherweise Rechnung tragen muss. Physik ist nun mal Physik. Was ein Ärger. So rühre Er Gänge! Mit Ausnahme des Fauxpas mit dem hinter Gleis 9¾ versteckten Leerlauf ist die Schaltbox eine große Kiste gut abgestimmter Gänge, die mit einem etwas hohlen Klicken an den Platz springen, den der Gott Italiens für sie vorgesehen hat. Seidig ist zwar anders und Gefühl wie Geräusch könnten noch ein bisschen satter sein, aber das ist Haarspalterei. Sobald die erste Kurve auftaucht, denkt man nie wieder an die Schaltung – und das ist alles, was es dazu zu sagen gibt.

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Bereits die ersten Gasstöße verraten, dass Sprit im Zylinder zu einer viszeralen Bewegung im Herz des Eisenpferds führt. Es reißt den Rumpf jedes Mal kurz nach rechts, wenn man die Peitsche schwingt. Was im Stand und auf der Geraden unterhaltsam ist, lässt einem am Aufstieg von scharfen Serpentinen durchaus die entscheidenden Teile in die Hose rutschen, wenn beim Beschleunigen bergan auf der sowieso schon in jeder Raumrichtung verdrehten Straße auf das Zucken des Motors hin das Heck plötzlich wegschwimmt. Mehr als gewöhnungsbedürftig, das.

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Weder den Federn noch der Schräglagenfreiheit kann man dabei irgendwas vorwerfen. Klar, es wäre wirklich langsam mal angebracht, dass progressive Federn zum Fabrikstandard an all diesen Motorrädern gehörten, aber was man als Regelleistung bekommt, besteht erfreulicherweise immerhin nicht aus eingeschmolzenen Coladosen. Die Guzzi kommt deutlich weiter runter als die meisten Mokicks in direkter Konkurrenz, was gerade bei besagten Steilserpentinen ein Segen ist. Ich bin mit dem Fahrwerk der V7 dennoch bis zum Ende nicht ganz warm geworden. Auch nach zwei Tagen zur verlängerten Vertrauensbildung war es mir nicht zuverlässig möglich, den Bock genau da in die Kurve zu stellen, wo ich ihn haben wollte. Wo bei meiner W800 nach drei Kurven zur Gewöhnung blindes Vertrauen in die absolute und unmissverständliche Zuverlässigkeit herrschte, war bei der V7 bis zum Schluss viel Konzentration notwendig. Leicht von der Hand gehen sieht anders aus, von Telepathie braucht man gar nicht zu reden anfangen. Einen nicht unerheblichen Anteil hat die Tatsache, dass das Mofa zwar weit runter geht, ohne dass irgendwas am Asphalt kratzt – sie will aber nicht. Die sich zierende Jungfrau aus Mandello del Lario muss wirklich mit Nachdruck gebeten werden.

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Den fantastischen Straßen Mallorcas tat das ganze keinerlei Abbruch. Ich hatte die gesamte Zeit ein Grinsen ins Portrait genagelt, dass der Bregen mit der Produktion der Endorphine kaum nach kam. Gerade die Küstenstraße von Andratx nach Norden über Estellenc bis Banyalbufar ist ein Kleinjungentraum in Asphalt. Die Ausblicke kann man ohne Umweg in den Katalog drucken. Und der Zustand der Straßen ist überraschenderweise fantastisch. Nur wenige Kurven halten ernsthafte Überraschungen bereit, was vermutlich der einzige Grund dafür ist, dass viele der motorradierenden Kollegen überhaupt zu Frau und Kind zurück kehren – wo viele Leute zusammen kommen, ist auch immer ein gerüttelt Maß an Deppen anwesend. Aber weder die wenigen faulen Eier noch die omnipräsenten Fahrradfahrer überall können einem eine der besten Motorrad-Erfahrungen verhageln, die man für Geld und gute Worte bekommen kann. Um zu zeigen, dass ich nicht nur aus heißem Eisen Hyperbolen schmiede: Mein Entschluss steht fest, nächsten Frühling zum ersten Motorradurlaub meines Lebens nach Mallorca zurück zu kehren. Ob ich aber wieder auf den Rücken des Adlers steigen werde – und ob ich mir eine V7 in die Garage stelle als eines der wenigen Motorrädern mit ernsthaftem Charisma und ABS, bis 2020 der Traum der luftgekühlten Twins endgültig ausgeträumt ist – das weiß ich noch nicht zu sagen.

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3 Antworten to “Quer über Mallorca zu Pferd auf der Moto Guzzi V7 III”

  1. […] Woche auf Mallorca. Neben einem ziemlich anstrengenden Kongress bin ich nicht nur auf einer Moto Guzzi V7 III über die Insel gedonnert, sondern habe auch ausgesprochen gut […]

  2. […] letztens Jahres hob ich meine gesalbten Hände gen Himmel und schwor, alsbald auf dem Rücken eines Motorrads nach Mallorca zurückzukehren. In die festgemeißelten Pläne schlich sich aber schon bald ein kleines Zweifelchen und nagte […]

  3. […] Artikeln wie unserem Messerratgeber, Reiseberichten – Rom, Vietnam, Lissabon, Mallorca Teil 1 & Teil 2 und Sardinien – und sympathisch rufschädigenden Polemik-Manifesten aus wütend […]

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