Auf dem Donneresel quer durchs Paradeis – Sardinien mit BMW F800GS und KTM Adventure 790R
Ende letztens Jahres hob ich meine gesalbten Hände gen Himmel und schwor, alsbald auf dem Rücken eines Motorrads nach Mallorca zurückzukehren. In die festgemeißelten Pläne schlich sich aber schon bald ein kleines Zweifelchen und nagte fürdahin am Fundament: Warum nochmal die selbe Insel, wenn ich seit Jahren nach Sardinien will und es nie geschafft hatte? Die große Insel im tyrrhenischen Meer (natürlich habe ich das nachgeguckt, jetzt gucken Sie nicht so pikiert) soll auch ein Paradies für Mopedfahrer sein. Irgendwann hatte es mich dann so weit – die wohlfeilen Pläne wurden mit Anlauf aus dem Fenster gefeuert. Sardegna, you’re gonna be quite the show.
Es gibt ungefähr drei Arten, an einen fahrbaren Untersatz auf Sardinien zu kommen: Man kann mit seinem Motorrad eine Tour runter machen. Fähren fahren von Civitavecchia, Genova, Livorno, Napoli, Palermo und Piombino. Wer schon mal auf meinem Mopped, einer Kawasaki W800, gesessen hat, weiß, dass sie viel ist, aber kein Tourenmotorrad. Ich denke, dass die meisten Fahrer selbst mit einem geeigneten Eimer zwei Tage hin und zwei zurück einplanen müssen. Wenn man eine Woche Urlaub hat, ahnt man ein dezentes Missverhältnis. Hinter Tor Nummer zwei verbirgt sich die Möglichkeit, das eigene Motorrad transportieren zu lassen. Es gibt angeblich ein paar sehr zuverlässige Services, aber bei einer Woche Aufenthalt decken sich die Kosten fast eins zu eins mit einer gemieteten Maschine. Was uns zur letzten Variante bringt: Der Mietesel. Diese Variante hat einige Vorteile. Erstens kann man mal ein neues Mofa ausprobieren. Wenn etwas schief geht, hat man einen Ansprechpartner vor Ort, der einen wieder aus dem dampfenden Kottümpel herauszieht (hierzu gleich mehr .. Exposition!). Und nicht zuletzt will man einige tausend Kilometer auf den Gaul spannen, die Wertminderung fürs eigene Gefährt ist eventuell auch nicht zu vernachlässigen. Ich denke, der Leser hat schon erraten, in welche Richtung sich der Tanz entwickelt.
Es gibt auf Sardinien wenige private Vermieter und viele gesichtslose Portale. Immer wieder empfohlen wurde Motoparadiso5, wohinter die beiden Deutschen Stefan Held und Christian Bühler stehen. Sie haben nicht nur einen sehr netten Kontakt (in meiner Sprache und persönlich), sondern auch ein hochwertiges Sortiment und keine Kilometerbegrenzung. Und sie sind vom Flughafen Olbia leicht erreichbar. Und günstiger als die meisten Konkurrenzläden sind sie auch. Aufgrund meiner etwas tranigen Planung war bei Ihnen nicht mehr viel zu haben: Es gab noch eine BMW F800GS. Mir recht. Gekauft.
Ich habe mich schon ausreichend über den Unsinn des kommerziellen Luftverkehrs ausgelassen. Ich langweile mich damit inzwischen schon fast selbst. Wenn man zu Pferd unterwegs ist, tut man gut daran, seine Habseligkeiten rucksacks transportieren zu können. Ich packte also ökonomisch und tetriste alle meine Habseligkeiten in meinen Cabin Max Rucksack, aufdass es mit Handgepäck getan wäre. Nur den Helm musste ich extra nehmen. Ich war schon auf jede Schandtat vorbereitet, um ihn durch die Kontrollen zu kriegen („Die Dame darf ihren Hut mitnehmen, ich aber meinen nicht?! Skandal, mein Herr! Skandal, sage ich!“) , aber dazu bestand kein Anlass. Niemand störte sich daran. So landete ich denn nach einem verdrießlich früh begonnenen Tag in Olbia, der größten Stadt am Nordrand der Insel. Die Sonne schien. Und die Welt gehörte mir.
Der Flughafen Olbia ist nah an der Stadt, nur ein paar Kilometer entfernt. Es gibt zwei Buslinien, die regelmäßig fahren. Ich musste nur ein paar Stationen fahren, bis ich bei dem kleinen Büro von Stefan und Christian angekommen war. Ich wurde unbürokratisch mit meinem Motorrad und Papieren ausgestattet und los ging die wilde Fahrt.
Ich mache schon seit geraumer Zeit keine Pläne mehr für Urlaube. Man tendiert nur dazu, hektisch von einem Tagesordnungspunkt zum anderen zu laufen und die schönen kleinen Dinge zu übersehen, die den Zauber von Orten ausmachen. Mein Grundgerüst für Städtereisen sind stattdessen Restaurants, für die Sardinienreise waren es nur die Unterkünfte. Italien ist voll mit kleinen, privat geführten Gasthäusern, so genannten Agriturismo. Diese sind deutlich persönlicher als Hotels, man lernt die Leute kennen, es gibt meistens sehr gutes, authentisches Essen und günstig kommt man damit auch noch weg. Ich suchte aus verschiedenen Quellen im Netz eine eklektische kleine Sammlung heraus und platzierte sie auf der Google Karte. Dann buchte ich jeweils für einen Tag in der Reihenfolge, dass ich mich langsam von Norden nach Süden über die Insel bewegte. So hatte ich Absprungbretter, um alles zu erkunden.
Meine erste Anlaufstelle war das Agriturismo Asara nicht weit südlich von Olbia. Die Chefin ist Deutsche, sodass die Kommunikation einfach gefallen war. Sie war allerdings nicht vor Ort und Angelo, der mich als einzigen Gast betreute, sprach leider nur Italienisch, das aber ausgesprochen nett. Man verständigte sich mit Händen und Füßen. Der Hof ist beschaulich und schön, die Zimmer geräumig und sauber und das Frühstück am nächsten Morgen war top. Nachdem ich mein Gepäck abgeworfen hatte, war der Tag noch jung und da es leider im Asara nichts zu Abend geben sollte (weil nur ich da war), beschloss ich, eine Tour nach Norden zu machen und schließlich in Olbia zu essen.
Die Küstenstraße entlang Golfo Aranci, Porto Rotondo, Porto Cervo, Cannogione bis Palau kann man vergessen. Einzig die Route zurück über die SS125 durch Arzachena war recht hübsch. Das Abendessen im Mapari Wine & Food war astrein, gemischte Salumi und ein leckeres Ragú von der Färse mit Tagliatelle und ein ausgezeichneter sardischer Rotwein entschädigten für die größtenteils unschöne Fahrt.
Eine der Städte, die ich gerne sehen wollte, war Alghero an der Westküste. Die Strecke war recht lang, sodass ich recht früh aufbrach. Der erste Teil der Fahrt über die SP24 über Sozza und Ludduru durch die Badu Andria war einer der schönsten Teile der Reise. Gebirgsklima mit wilden Kräutern zu beiden Seiten und einer Vegetation nicht unähnlich des Voralpenlandes machen das Leben auf dem Bock sehr erträglich. Irgendwann lief die Route dann über eine gerade Landstraße und schließlich eine Schnellstraße. Da hat man nicht viel von.
Alghero hat tatsächlich eine wirklich schöne Altstadt, in der ich mich ein bisschen herum trieb, bevor ich wieder auf mein Donnerfahrrad kletterte, um endlich eine der legendären Motorradrouten zu fahren: Die Küstenstraße von Alghero nach Bosa. Die Strecke ist ein Fest für die Sinne, gut einsehbare Kurven noch und nöcher, herrliche Vista auf die Klippenküste der Insel. Die Endorphine sprudelten kräftig. So kann man leben.
Ich wollte den langen Weg zurück an die Ostküste der Insel abreißen und mein Gepäck loswerden und dann von dort noch einmal starten. Auf der Fahrt zurück entdeckte ich eine kleine Kapelle an der Straße und beschloss, sie mir näher anzusehen. Kleine Landkirchen geben schließlich immer großartige Fotomotive ab. Zu meinem Unbill kostete das ganze Eintritt und ich stieg wieder auf den Bock, um meine Reise fortzusetzen. Nur leider hatte der Bock keine Lust mehr. Er sprang nicht mehr an. Anlasser drehte, es war offenbar Strom da, aber es gab keine Zündung. Man drückt, dreht und kurbelt an allem, klappt alle Ständer aus und ein, schaltet alle Gänge durch, lässt das Moped mal eine halbe Stunde stehen. Nix zu löten anne Holzkiste. Der Esel war störrisch und blieb stehen.
Zurück zu der lange in der Hinterhand gehaltenen Exposition von ganz weit oben – ich konnte den Vermieter glücklicherweise erreichen und dieser machte sich auch sodann mit einem neuen Motorrad im Schlepptau auf, um mich aus meiner Not zu retten. Im Unglück fand ich dankbarerweise viel Gutes: Ich freundete mich mit zwei Hunden an und erkundete die Gegend. Die Landschaft dort ist traumhaft schön, die wogenden Weizenfelder in der Spätnachmittagssonne waren so pittoresk, man erwartete jeden Moment, dass der junge Russell Crowe mit ausgestreckten Händen durch sie gelaufen kommen würde. Schließlich durfte ich sogar ohne Eintritt die Kirche und das Nuraghe (Nuraghe e Crèsia de Santa Sarbana) in Augenschein nehmen und der nette Mann an der Pforte gab mir eine kleine Geschichtsstunde über die Sarden und die nuraghische Kultur, bevor der Römer kam.
Es war schon früher Abend, als meine Retter aufschlugen und mir einen neuen Eimer unteran schnallten. Glücklicherweise hatten sie den gleichen Typ Motorrad als Ersatzmaschine in petto. Da ich durch diese gefährliche Mischung aus Pech und Blödheit, die mich so sympathisch macht, meine normale Brille auf der Fahrt nach Alghero vernichtet hatte, blieb mir nur meine Sonnenbrille. Die Sonne stand schon gefährlich tief und es war noch ein ganzes Stück bis zu meinem Agriturismo. Keine Zeit zu verlieren, die Rosse angespannt und in uncharakteristischer Hast über das Land gebrettert. Leider – alle Mühe vergebens. Unser geliebter Fusionsreaktor senkte sich unnachgiebig hinter den Horizont und ließ den Geistern der Nacht freien Lauf. Es hilft nicht wirklich, dass der Scheinwerfer der GS selbst mit Fernlicht ein Teelicht in einem Marmeladenglas ist. Sardische Landstraßen sind wenig geeignet für die Nachtfahrt. Und die Masse an totgefahrenen Insekten auf meinem Visier sorgte für vollständige Blendung bei jeder Art Gegenverkehr. Jetzt habe ich für solche Fälle immer drei Armvoll Vorsicht im Regal lagernd. Die Sarden, die sich in ihren Autos hinter mir stauten, fanden das wenig amüsant. Was man wissen muss, ist dass die Sarden überein gekommen zu sein scheinen, dass die mit grober Willkür auf der Insel verteilten Geschwindigkeitsbegrenzungs-Schilder nicht mal als vage Empfehlung aufzufassen sind – es gilt auf jeder Straße eine Richtgeschwindigkeit von 120 km/h. Wer sich daran nicht hält, hat mit dem autochtonen Fahrerzorn zu rechnen. Es gibt Momente im Leben eines Mannes, da ihm die Hupe seines Nächsten egal ist.
Dass ich diese Zeilen schreibe, ist ein klarer Hinweis darauf, dass ich diese kleine Episode auch – nicht würdevoll zwar, aber immerhin unbeschadet – überstanden habe. Das Bier in meinem Agriturismo schmeckte herrschaftlich nach überstanden Abenteuer und verdienter Muße.
Verständlicherweise wurde am nächsten Morgen eher lang geschlafen. Mir war nicht so sehr nach Motorrad und eher nach Entspannung und als meine müden Augen über die Karte wanderten, fielen mir zahlreiche unzugängliche Strände an der Ostküste südlich vom Hafenort Cala Gonone auf. Es traf sich, dass ich in diesem Agriturismo als einziges zwei Übernachtungen hatte, weil ein anderes abgesagt hatte. Eine sehr plaisierliche Fahrt entlang toller Bergstraßen und Küstenserpentinen später hatte ich mir bei der umfassend empfehlenswerten Vermietung „Azzurra“ am Hafen innerhalb weniger Minuten ein Schlauchboot mit einem 40PS Außenborder gemietet (und den Mädels meine Motorradklamotten zur Aufbewahrung aufgedrückt, die ich, Pragmatiker ohne Scham, direkt über der Badehose an hatte – Zero Problemo) und verließ den Hafen. Mit zwei großen Bier und drei Flaschen Wasser vom Kiosk am Eck in der kostenlos mitgelieferte Kühltasche und jeder Menge Flausen im Kopf.
In Norditalien kann man ohne Führerschein 8PS Boote mieten. Das ergibt eine unbefriedigende Geschmacksrichtung von dynamischem Stillstand. Auf Sardinien gibt’s für das selbe Gewicht an Inkompetenz 40 Pferde. Und das geschraubt an ein Boot mit dem Gewicht dreier zusammen gebundener Goldhamster gibt reichlich Klingeln in der Bude. Die ganze Veranstaltung ist ausreichend stabil, dass man mit Vollgas im Kreis fahren und jedes Kind zur Wiedervorlage seines Mittagessens bewegen kann, ohne dass die Jolle kentert. Bringt man aber Wellen in die Gleichung, ist es aber auch ausreichend leicht, dass man in relevante Schwebezustände gerät, die bei ihrer zuverlässig folgenden Selbstauflösung das Gesäß kraftvoll bis zum Mittelpunkt der Erde durch den Sitz treiben. Kurz: Man kann enorme Mengen Unsinn stiften. Und deshalb genauso große Mengen Spaß haben. Unsereiner ward also jodelnd die Küste entlang bratend gesehen, immer auf der Suche nach einem Flecken Erde, wo ich der erste nervige Tourist sein könnte.
Die ersten Strände an der absurd schönen Felsenküste angrenzend an den Foresta di Montes sind natürlich völlig überlaufen. In den schroffen Felsen finden sich unzählige Höhlen, Kluften und Wasserfälle, kleine Buchten und wilde Überhänge. Das Wasser an der Küste ist hellblau. Man will fast Betrug wittern, Dinge haben nicht so auszusehen wie im Katalog. Wenn man ein Stündchen an der Küste entlang schippert, werden die Strände weniger und weniger voll. Man kommt hier nur mit dem Boot hin, wir reden also sowieso über nur kleine Gruppen Menschen. Schließlich schaffte ich es tatsächlich, einen kleinen, vollständig verlassenen Strand für mich zu finden. So weit ran an die Küste, wie man sich getraut, Anker raus, Getränke in die Hände und ab ins kühle Nass. Die Vorteile eines einsamen Strandes brauche ich vermutlich nicht explizieren. Ich hatte einen herrlichen Tag. Nur der kleine Hinweis: Einige der Strände sind feiner bis grober Kies. Wasserschuhe von Amazon für ein paar Euro sind Gold wert.
Zurück im Agriturismo Don Ballore lernte ich ein paar Bikerkollegen kennen (Grüßle an Charly, Jochen und Sven), mit denen ich sehr gut zu Abend aß und dabei von der großen Gastfreundschaft der Bauernfamilie in Form von Kaffeelikör, Myrthenlikör, Grappa, Bier und hausgemachtem Wein Gebrauch machte. Glücklicherweise saßen den Jungs die Spiritualien nächsten Tags noch etwas mehr in den Knochen als mir, sodass sie noch da waren, als ich mich aufmachen wollte.
Wollte deshalb, weil das Motorrad – man ahnt es bereits – nicht ansprang. Diesmal gab es keinen Anlasser, alles sah nach Batterie aus. Ich orakelte, da wäre wahrscheinlich eine Zelle durch gefeuert. Mit tatkräftiger Hilfe des Bauerns Antonio und den beiden BMW Brüdern konnten wir die Mühle überbrücken und Leben in die müde Kuh bringen. Ich gedachte, nach Olbia zum Vermieter zu fahren und dort vielleicht schnell eine neue Batterie zu ergattern. Doch es kommt ja immer anders als undsoweiter. Denn was wir für eine kaputte Batterie gehalten hatten, war in Wirklichkeit ein kaputter Regler. Als die letzte Sauce aus dem müden Akku in die Zündung gelaufen war, kam das Mofa zum erliegen. Mitten an einer Schnellstraße natürlich.
Exposition die zweite. Einige Stunden später saß ich in Olbia beim Kaffee mit Stefan und seiner unter meinen Misadventureien stark mitleidender Freundin, die eigentlich gerne ein bisschen Urlaub gemacht hätte. Das Problem war, dass es auf der ganzen Insel kein Motorrad mehr zu mieten gab. Stefan und Christian hatten auch keins mehr, dafür hatte ich mit meiner dunklen Wolke aus Pech gesorgt. An dieser Stelle hätten viele Leute wahrscheinlich die Waffen gestreckt, aber zu größten Lob und Ehre organisierte der gute Mann, dass ich die private, fast fabrikneue KTM Adventure 790R eines Freundes bekam. Potztausend. Ein dreifaches Hiphip-Wogibtsdennbittennochsolchenservice!
Dies ist vielleicht eine gute Stelle, um mal von den Böcken zu salbadern. Die F800 war mein Fahrschulmoped gewesen – zwar als R und nicht als GS, aber Karotten und Möhren. Ich kannte die Bude also schon. Erstmal ist festzustellen, dass das Ding ein großer, schwerer und hoher Trümmer ist. Ich komme mit meinen 1,90m mit meinen meinen wohlgeratenen unteren Auslegern gerade so an die Erden. Für richtiges Aufstellen des Fußwerks muss ich das Becken stark nach vorne kippen. Deucht der Berg im Stand zu kentern, muss man schon ganz schön gut gefrühstückt haben, um ihn umzustimmen. Der 800 Kubik Reihenzwo tönt heiser, sporadisch auch gurgelnd aus den Tüten und produziert dann – nicht kultiviert zwar, aber auch nicht barbarisch – seine 85 PS sehr gleichmäßig und recht kraftvoll in die Welt. Der Sitz der alten Generation war zu hart, die neueren Maschinen haben ein sehr patentes Polstermöbel, auf dem auch längere Reisen bequem zu bestreiten sind. Der Angel- und Drehpunkt und das größte Kaufargument des Mokicks ist das unwahrscheinlich neutrale Fahrwerk, das für jeden Anfänger leicht zu beherrschen ist. Der Karren macht jeden Unsinn mit und verzeiht fast jeden Fehler. Emotion kommt dabei bei aller Güte allerdings keine auf. Wo die Bretter der Konkurrenz eher an Latinas erinnern, deren überraschende Hüftschwünge einen unvorbereitet treffen können, was einem das Adrenalin blodelnd in die Adern treibt, haben wir es bei der BMW mit einer 35jährigen Sozialpädagogin zu tun, die beschlossen hat, dass sie zu lange allein war und jetzt mit freundlicher Miene jeden nur erdenklichen Unsinn mitmacht. Passion und wahre Begeisterung sind ihr aber fremd. Die eine ausgesprochen ärgerliche Eigenschaft der F800, sowohl als R als auch als GS, ist ihre Neigung zum Vibrieren. Selbst wenn man nicht mit 130 unterwegs ist, wo das ganze ausgesprochen wenig unauffällig von statten geht, so hast Du am Ende des Tages trotzdem immer taube Hände. Für mich ist das ein Ausschlusskriterium. Ach ja – und die durchschnittliche GS hält meiner Erfahrung nach ungefähr zwei Tage.
Die KTM Adventure 790R ist zwar technisch irgendwie vergleichbar – 800 Kubik Paralleltwin Enduro -, aber ein ganz anderes Biest. Der Werbeblah vom Hersteller ist „Ready To Race“. Weißte bescheid, da. Die Rohre feuern mit untypischen 75° versetzt, oder auf Deutsch: Mächtig unrund. Der Motor ruppelt und holpert insbesondere unter 4000 Touren, als würde ein Besoffener willkürlich auf die Zündkerzen klopfen. Dafür macht der Block aber auch Alarm, dass einem die Prothese aus dem offenstehenden Kiefer kippt. Wer da unverständig an der Brause dreht, ist plötzlich im falschen Land. Wenn so geheißen, zieht der Kahn an wie ein tollwütiges Rhinozeros. Wenn man dann noch den optionalen Quickshifter gekauft hat (Empfehlung des lustschwangeren Autors), dann hat man sich schneller auf tausend Stundenkilometer geholpert, als im normalen metrischen Zahlenraum darstellbar ist. Außerdem fällt einem der Begrenzer erst bei 12000 Touren ins Wort, der Motor liebt es zu drehen. Und so sind die Gänge zwar technisch gesehen weniger weit gespreizt als bei der BMW, der größere Stimmumfang macht es aber komplett wett. Das Fahrwerk, das die Mattighofener an den Esel schrauben, spricht auch eine klare Sprache. Es tänzelt deutlich mehr als die Sozialpädagogin, es ist aufgeregter, nervöser und neigt trotz im Einsatz doch sehr guter Neutralität deutlich weniger zum Verzeihen von Fehlern. Außerdem wird die rückwärtige Sensorik sehr lebhaft über den Erhaltungszustand des Fahrbahnbelags in Kenntnis gehalten. Die Dämpfer sind adaptiv und man hört, dass insbesondere die R im Gelände gut ginge. Meine Erfahrungen damit sind mit begrenzt wohlwollend umschrieben. Das Windschild ist auch ästhetisch geplant und nicht praktisch getestet – selbst wenn ich mich zehn Zentimeter kleiner machte, schlugen mir die Windschleppen voll ins Esszimmer. Wenn Du nach einer Ausfahrt in einer Stadt etwas langsamer fahren musst, im schlimmsten Fall Schritttempo, dann heizt das Aggregat das linke Bein bis zur Entflammung des Beinkleides auf, was zu einer lustigen Spitzfußstellung zwecks Beinerhöhung bei der Stadtdurchfahrt führt. Mein größter Kritikpunkt an dem Bock ist aber die Sitzbank. Ja, ich verstehe, dass es mörder uncool ist, wenn einem nach einer Stunde Fahrens nicht kraftvoll der Bobbes brennt. Aber ich bin halt uncool. Ich würde gerne mein Motorrad weiter als 100km am Stück bewegen können, ohne dass funktionswichtige Teile meines Körpers abfallen. Und KTM treibt es wirklich auf die Spitze – es scheint einem, als wäre dieses komige obsolete „Schaumstoff“ Zeug gar nicht mehr verbaut, sondern vollständig durch einen proprietären Werkstoff aus HSS Stahl, plasmanitriertem Wolfram und Portlandzement ersetzt worden. Wie ernst die Seppel das meinen, wird einem klar, wenn man in den Zubehörkatalog guckt und nichts findet, außer weitere Nagelbretter. Wenn man schnell einmal Sardinien von Nord nach Süd durchqueren muss, findet man das nicht mehr so wahnsinnig witzig. Etlich sehr jugendverderblich Fluch ward in den sardischen Nachmittag geschleudert. Vielleicht bin ich alt, aber ich habe da keinerlei Verständnis für. Ein bisschen mehr Polster macht das Ding doch nicht zur Gummikuh.
Was uns wieder zu meinem Reisetagebuch zurück bringt. Denn so richtig nach Olbia wollte ich an dem Morgen der zweiten toten BMW ja gar nicht, eher im Gegenteil. Ich wollte an den südöstlichen Zipfel der Insel, zum Agriturismo I Menhirs, was dann recht gewaltvoll und schnell passieren musste, um eine Wiederholung meiner Nachtfahrt zu verhindern. Danach war mein ganzer Körper blau und grün, bis zur Verknotung verspannt und begann, in Stücken von mir zu bröckeln. Als Belohnung für die Strapazen war der Aufenthalt im I Menhirs aber auch eine uneingeschränkte Freude. Die Zimmer sind sauber und gepflegt, alles ist recht neu. Das Essen aber war außergewöhnlich und einfach fantastisch: Selbstgemachter Käse, selbstgemachte Pickles, richtig richtig gute Salumi, hausgemachte Ravioli und Gnocchi und Fregula mit Pilzen.. Der Wahnsinn. Ich musste die Secondi Piatti abbestellen, weil die Antipasti offenbar nicht für eine Person gedacht waren. Dessert geht aber bekanntlich immer – Orangenscheiben (perfekte Reife) mit einer Likörreduktion und eine frittierte Teigtasche mit Ricotta und Honig. Unfassbar. Dazu gab es natürlich eine ganze Flasche großartigen sardischen Hauswein und soviel Wasser, wie ich wollte. Uneingeschränkt empfehlenswert. Deutlich professioneller als die meisten anderen Agriturismo, aber – diese Früchte rechtfertigen alles.
Leider wachte ich am nächsten Tag mit einem Schultergürtel und Quadrizepsen aus Spannbeton auf. Und entsprechenden Kopfschmerzen. Kurzentschlossen suchte ich in der größten Stadt an meiner Route, Cagliari, nach einer Massage. Man hat die Wahl zwischen ein zwei Spas, die hauptsächlich Wellness und Kosmetik machen, und einer tatsächlichen vollberuflichen Masseuse, Stefania Carboni. Schnell über Facebook einen Termin gemacht (schöne neue Welt) und weil ich noch etwas Zeit totzuschlagen hatte, ein zwei entspannte Stunden am See in Poggio dei Pini verbracht. Stefania arbeitet, wenn sie nicht zu einem nach Hause kommt, im Keller eines Friseursalons. Geht ruhiger, aber das ist recht schnell wurscht, denn sie macht ihren Job wirklich gut und sie ist extrem positiv und herzlich. Eine durchgehend gute Erfahrung – und mit 60€ für 90 Minuten auch sehr bezahlbar. Danach musste ich natürlich das machen, was jeder Trottel macht: Die selbe Fehlbelastung sofort wieder anbringen. Rucksack auf und Platz genommen auf dem Stahlsessel der österreich’schen Brauslmaschin‘.
Ich hatte entschieden wenig recherchiert. Aber eine Straße wurde immer wieder erwähnt, und zwar die zwischen Iglesias und Guspini an der Westküste der Insel. Diese peilte ich als zweiten Glanzpunkt des Tages an. Und heidewitzka sapperlot: Das, meine lieben Freunde, ist die quintessenzielle Motorradstrecke. Anderthalb Stunden ungebremste Freude, fantastische Kurven jeder Art, perfekter Asphalt, kaum was los und von saftiggrünen Auen über blühende Berghecken bis zu der trockenen Weizen- und Olivenlandschaften der sommerlichen italienischen Tiefebene alles dabei. Als hätte der liebe Herrgott mit Ansage die Biblische Mofastrecke in den blanken Fels gestemmt. Hier schien das Licht der wendigen und kraftvollen KTM, hier ist das Biest zuhause. Das jauchzende Spraddern des rechtsseits angeschlagenen Saxophons aus der Werkstatt von Meister Acrapovič hängt noch immer in den Felsen.
Ich war ebenfalls bitterfroh, dass ich die KTM unter mir hatte, als ich schließlich die 2 km räudigen Schotterweg zum Agriturismo l’Oasi del Cervo hoch kraxeln musste. Nur ein sehr finsterer Gott weiß, was passiert wäre, wenn ich die BMW da hätte hoch ringen müssen. Mal ganz abgesehen davon, wenn es – man denke mal über Nacht – geregnet hätte. Ich sage euch, das ist kein Zückerle. Der Hof selbst ist hübsch gemacht, aber man bekommt den Eindruck, dass die unglaublich freundliche Hausherrin langsam alleine mit der Pflege des Hauses, der Bewirtung der Zimmer und der Zubereitung aller Mahlzeiten etwas überfordert ist. Das Essen zog sich von halb neun bis halb elf. Die Küche war simpel, komplett hausgemacht und durchaus lecker, aber sie ist mir nicht allzu gut bekommen. Die Wände des schönen Hauses sind im weiteren etwas arg hellhörig, sodass ich sowohl von den Windspiel draußen als auch dem Matratzenspiel des italienischen Gastpärchens neben mir einiges hatte.
Am nächsten Morgen ging es früh los, denn ich konnte es kaum erwarten, die Gottesstraße zurück zu fahren. Morgens war sogar noch weniger los, lediglich ein bergab kachelnder Rennradeur geriet vollständig in meine Spur und ging auf Tuchfühlung. Glücklicherweise war ich langsam und recht weit außen in meiner Spur unterwegs, sodass es keinen von uns vom Rappen riss. Nachdem mich der Donnerbock durch die windenden Großartigkeiten der Bergstraße gezirkelt hatte, während ich Geräusche der Freude ausgestoßen hatte, die in einen deutlich privateren Kontext gehören (Sacrebleu Donnernocheins, ist das geil he!), hatte ich mir noch eine sehr verwundene Straße zu meiner nächsten Unterkunft ausgeguckt: Die SP85, beginnend am Kreuz zwischen SP2 und SP85 zwischen Villamassargia und Corongiu und heraufführend nach Perdaxius. Diese Straße ist landschaftlich weniger schön und auch weniger vollkommen als die beiden genannten Motorradstraßen, aber sie ist anspruchsvoller und sie hält ein paar Überraschungen bereit. Dem mofaschwingenden Touristen sei also Vorsicht angeraten. Spaß ist aber auch garantiert. Diese Strecke endet beim Agriturismo Gennemara, einem sehr beschaulichen Hof in bestem Zustand mit ausgesprochen geschmackvoll eingerichteten Zimmern, einem sehr netten Betreiberpaar und – und hier räume ich Beeinflussbarkeit ein – zwei tollen Retrievern und einem großen Knäul Welpen, die mich sofort in ihr Herz geschlossen haben. Hier verbrachte ich einen entspannten Spätnachmittag auf der Veranda (wo ich den Großteil dieses Artikels in die Klaviatur klopfte) und ließ mir ein bisschen die Sonne auf den Pelz scheinen. Die Hunde waren zu süß und das Bier lockte auch, und so fuhr ich nicht noch einmal aus. Das Abendessen war übrigens der Wahnsinn, die Chefin kann kochen, dass einem die Glückstränen in die Augen steigen. Insbesondere die handgemachten Maccherone mit Gemüse und Gemüsepesto waren ein Traum.
Am nächsten Tag stand eigentlich Sant’Antioco auf dem Programm. Ich war recht früh da, aber es hing schon eine enorme Dunstglocke über der Stadt. Es war 36°, feucht und die Luft drückend und schwer. Mein B&B – dessen Namen ich nicht verrate, das habe ich dem sehr bemühten Betreiber versprochen – hatte leider das Bad kaputt und man schlug vor, ich könnte um günstig Geld im Hotel Moderno unterkommen. Das Zimmer war klein, kochend heiß, es roch und die Klimaanlage ging nicht. Dafür waren mir selbst 35€ zu viel. Vom Klima fast erdrosselt hakte ich meine sterblichen Überreste in den Sattel und fuhr postwendend zum Agriturismo Gennemara zurück, um sie nach einem Zimmer anzubetteln.
Gab kein Zimmer mehr. Es war inzwischen Freitag und alles war ausgebucht. Also suchte ich nach einem freien Zimmer im Nachbarort, buchte es kurzentschlossen über booking.com und ritt los. Auf der Landstraße, kaum einige Minuten entfernt, überholte mich plötzlich ein schwarzer Blitz und der Mann am Steuer winkte mich heraus. Paolo, der Betreiber des Gennemara, lachte mir vom Fahrersitz entgegen. Es hatte just jemand abgesagt und der fesche Herr hatte sich kurzentschlossen den besten Gast der Insel zurück geholt. Bescheidenheit, so lernte ich früh, ist schließlich eine Zier. Und sprich noch mal einer von Schicksal respektive Engagement fürs Geschäft.
An diesem Punkt waren meine Nerven schon ein bisschen strapaziert und auch im Inland war es lächerlich heiß. Der Entschluss, den Hitzetod mit zwölf Pfund Strand zu therapieren, hatte ehrlich gesagt schon fest gestanden, als ich von Sant’Antioco wieder runter gefahren war. Der nächste Strand ist der Spiagga delle Dune in Porto Pino. Was soll man dazu sagen? (Wie schreiben diese ganzen Leute überhaupt Google Bewertungen über Strände?..) Es hat zwei Löcher und vier Ecken, es ist ein Strand. Sand, Schirme, Wasser. Eine Bude mit Bier und ein paar Toiletten. Parken kost ne Mark (oder mit den Worten eines Google Bewertlings: „Unverschämt teuer!“). Drauf g’schisse. Schirm kaufen (9€), Klamotten von sich schleudern und ab ins Meer. Herrlich.
Am nächsten Tag musste ich in aller Herrgottsfrühe nach Olbia zurück. Ich nahm ein letztes Mal die beste aller Straßen, die ist eine halbe Stunde Umweg mehr als wert. Danach gestaltete sich der Transit KTM-typisch schwer erträglich. San Teodoro kann man komplett vergessen, Touristenhölle. Das Essen dort war OK, aber nicht erwähnenswert und zu teuer. Die Route von San Teodoro nach Olbia an der Küste entlang kann man auch vergessen. Genau wie das B&B in Olbia. Ein kleiner Lichtblick war das Essen in der Trattoria Nostra Terra. Nacht. Rückflug. Vorhang.
Das Gesamtkunstwerk war einer der besten Urlaube meines Lebens. Er hatte alles: Wunderschönes Land, großartige Motorradfahrten, herrliches Essen, herzlichste Leute und ein gerüttet Maß Drama. Ich kann den Entwurf mit wechselnden Agriturismo ohne festen Tagesplan nur empfehlen – man erlebt so viel, dass sich wenige Tage nach Wochen von Urlaub anfühlen. Man hetzt nicht von einem Haken auf der To Do Liste zum nächsten. Und deshalb kann man den Kopf ausschalten und sich selbst, das Land und die Menschen einfach genießen. Sardinien. You were quite the show.
1. Juli 2019 um 13:47
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