on 10. Februar 2010 by Herr Grau
15. Revision, 13.09.2015
Lieber Leser,
wenn man wie ich in Foren aktiv ist und Menschen gerne hilft, trifft man ab und zu auf wiederkehrende Fragestellungen. Keine Frage wird dabei so oft gestellt wie:
„Welches Messer soll ich mir kaufen?“
Nicht, dass diese Frage nicht bereits hundertfach beantwortet worden wäre – die Antworten liegen nur in unzähligen Posts versteckt. Und auch wenn dieser Versuch, diese Frage ein für alle mal zu beantworten, vielleicht hie und da zu kurz greift, so mag er doch zumindest helfen, die Beratungen einfacher und fokussierter zu machen.
An erster Stelle steht eine einfache Einsicht: Auch die besten Messer werden stumpf. Wer sich nicht um das Schärfen kümmert, hat auch von den besten Messern nach ein paar Wochen nichts mehr. Messer in Härtebereichen bis etwa 60° HRC kann man zwar mit einem Wetzstahl relativ lange scharf halten, aber auch sie müssen irgendwann nachgeschliffen werden. Wer also lange Freude an seinen Messern haben will, sollte sich den richtigen Gebrauch eines Wetzstahls und das Schärfen aneignen, ansonsten sind neue Messer unsinnig.
( → Einleitung Schärfen, Wahl des Schleifsteins, Schärfvorgang)
Und nur um noch mal die Grundregeln zu wiederholen:
Nie auf Glas, Keramik, Metall oder Stein schneiden! Klinge von Knochen fernhalten! Messer gehören nicht in die Spülmaschine!
Genug der Vorrede. Es ist erstaunlich, wie sehr die Beantwortung weniger grundsätzlicher Fragen die Auswahl von „unüberschaubar“ auf „ein paar wenige“ reduziert. Diese Fragen lauten:
1. Welcher Aufgabenbereich?
Es gibt eine Vielzahl spezialisierter Messer, Messersätze enthalten häufig zehn Messer oder mehr. Das meiste ist überflüssig. Ein Kochmesser, ein Schälmesser und ein Brotmesser sind die Austattung, die man braucht. Wenn dann wirklich etwas fehlen sollte, kann man es noch nachkaufen. Das ist aber erfahrungsgemäß unwahrscheinlich. Es gilt: Weniger kaufen, dafür gut. Als Schälmesser haben sich die dünngeschliffenen kleinen Herdermesser bewährt. Mit etwa 10€ kosten sie nicht die Welt und sind im Prinzip die ideale Lösung für diese Aufgabe.
Brotmesser sind Sägen. Ist der Wellenschliff stumpf, kann er nur von einem Fachmann nachgeschliffen werden. Die scharfen Zähne reißen mehr als dass sie schneiden, daher tut es für diese Aufgabe im Prinzip jedes Messer. Hier zählen vor allem ästhetische und haptische Vorlieben. Persönliche Empfehlungen sind die Victorinox Konditorsäge im günstigen Bereich und für etwas mehr Geld das Herder Grandmoulin oder das MAC Superior Brotmesser. Aber auch jedes andere Messer erfüllt den Zweck wenigstens zufriedenstellend. Im Folgenden geht es also nur noch um das große Kochmesser. Guck an, das ging schnell.
2. Welche Form?
Dies ist einfach eine Frage von Erfahrungen und Vorlieben. Die klassischen europäischen Formen sind für den Wiegeschnitt ausgelegt. Man differenziert die deutsche Form mit hochgezogener Spitze und großem Bauch und die französische Form mit in die Mitte oder sogar tiefer gezogener Spitze und häufig insgesamt schmalerer Klinge:
Die Japaner kennen mehr als eine Universalmesserform. Das Gyuto ist die jüngste Form und entspricht dem europäischen Kochmesser zumeist französischer Form:

Das Santoku ist tendentiell kürzer und höher:
Die Frage, ob man lieber ein Kochmesser/Gyuto oder ein Santoku möchte, ist eine des persönlichen Geschmacks. Ich empfehle dem, der diese Erfahrung nicht hat, die klassische Kochmesserform. Sie eignet sich besser für den Wiegeschnitt, durch die ausgeprägtere Spitze besser zum Parieren von Fleisch und durch ihre größere Länge auch besser zum Zerteilen von Fleisch und Fisch.
Abseits dessen gibt es noch einige „Exotenformen“: Die Kenyo-Form, vor allem durch Sirou Kamo in Europa bekannt, die ich für zu schmal für ein Universalmesser halte, und das auf George W. Sears Outdoormesser zurückgehende Nessmuk, das aber keine festgelegte Form darstellt. Messer dieses Formenkreises sind selten. Ausnahmen mit dieser Kontur bilden das Tosa Bunkaboocho, das weiter unten abgehandelt wird, und das Nesmuk® von Lars Scheidler, das man getrost als gut gelaufenes Marketingkonzept abhaken kann. Und schließlich hat es noch das traditionelle chinesische Hackmesser. Gerade für Leute, die viel Gemüse verarbeiten und denen andere Messerformen zu schmal sind, sind diese Messer eine ernsthafte Überlegung wert. Es handelt sich um sehr dünne Messer, die ihr martialisches Auftreten Lügen strafen. Beste Wahl: Suien oder Sugimoto.
3. Wie viel Geld will ich ausgeben?
Diese Frage muss man sich natürlich auch stellen. Zu einem traditionellen Japanmesser gehört zumindest ein Schleifstein oder, wenn ein Stein absolut nicht Frage kommt, ein Schleifsystem (Spyderco, Lansky, Edge Pro Clone). Zu allen anderen Messern kommt zusätzlich mindestens ein günstiger Keramikwetzstab, das sollte immer berücksichtigt werden.
4. „Rostfrei“ oder Carbonstahl? Was ist Geometrie?
Rostträger Stahl („Edelstahl“, „Rostfrei“) bildet große Chromkarbide. Man kann sich das wie große, widerstandsfähige Körner im Stahl vorstellen. Ein gröberes Korn heißt eine geringere mögliche Schärfe. Dafür sind rostträge Stähle tendenziell zäher und haben bei gleicher Härte eine längere Standzeit, sind aber auch schwerer zu schärfen. Carbonstähle dagegen werden dank ihres feinen Korns schärfer und sind auch einfacher zu schärfen, halten diese Schärfe dafür bei gleicher Härte weniger lange. Es gibt exzellente Messer aus Carbonstahl, aber durchaus auch viele großartige Klingen aus rostträgem Stahl. Solange dieser richtig ausgewählt und wärmebehandelt wird, ist das fraglos möglich. Wichtiger als der Stahl ist das Messer als Ganzes. Entscheidender als der Stahl und dessen Härte ist nämlich die Geometrie der Klinge. Ein dickes fettes Messer will einfach nicht leger durch die Karotte. Der Großteil des subjektiven Gefühls eines guten Messers entsteht durch leichtes Schneiden auf Grund einer dünnen Klinge – und zwar vor allem dünn direkt über der Schneide. Ich bin der festen Überzeugung, dass Stahl, Wärmebehandlung und Härte auf eine möglichst ideale Geometrie hin gewählt werden sollten und keinstenfalls anders herum. Macht man die Messer zu dünn oder zu hart für ihre Dünne, werden sie zu empfindlich. Die Balance zu treffen und dann handwerklich makellos auszuführen, ist alles andere als trivial. Schleifautomaten können bis heute nicht das, was ein Schleifer von Hand tut. Daher sind gute handgemachte Messer industriell hergestellter Ware tatsächlich merklich überlegen.
Ein kurzes Wort zu der Pflege von Carbonstählen: Ich arbeite seit Jahren mit solchen Messern; nach dem Schneiden einmal kurz mit dem feuchten Spüllappen abwischen, am Geschirrtuch abtrocknen, das kostet ein paar Sekunden. Dass sich saures Schneidgut verfärbt, passiert auch nur, bis die Klinge vernünftig Patina angenommen hat.
5. Härte als Organisationsfaktor – Systematik, Härten und Schaubild erklärt
Der Messerkauf ist vor allem deshalb ein solches Problem, weil es schwierig ist, den Markt zu überschauen und dann in eine sinnvolle Systematik zu bringen. Nach reiflicher Überlegung habe ich mich dazu entschieden, den Weg über die Härte des Schneidenstahls zu gehen, denn diese hat die größte Relevanz, um verschiedene Gruppen zu trennen. Ich habe den Markt – soweit er mir bekannt ist – nach dieser Systematik in ein Schaubild gegossen, in dem jedes Messer mit einem kurzen Kommentar versehen ist. Weiter habe ich die Messer nach Preis sortiert, in die Kategorien empfehlenswert, bedingt empfehlenswert und nicht empfehlenswert gegliedert – farblich gekennzeichnet natürlich -, persönliche Favoriten markiert und die Messer mit Fünf-Blickwinkel-Reviews kenntlich gemacht und diese verlinkt. Außerdem werden Carbonstahl und rostträge unterschieden. Bei allen Messern, die dies nötig haben, wurden Bezugsquellen angefügt. Ich habe alle Preise von Importmessern als deutsche Endpreise nach Versand und Zoll ausgerechnet.
Im Folgenden werde ich kurz die Vor- und Nachteile der einzelnen Kategorien darlegen, weitere Informationen zu den Messern sowie die Legende finden sich in dem Schaubild.
Sehr weicher Stahl (~ 53 – 54° HRC) findet sich traditionell bei den französischen Sabatier-Kochmessern aus der Messerstadt Thiers. Diese müssen häufig auf dem Stahl gewetzt werden, da sie die Schärfe nicht lange halten. Dafür sind sie auch bei dünnen Geometrien sehr unempfindlich und werden sehr schnell wieder sehr scharf.
Die nächst härtere Kategorie (~ 55-56° HRC) bilden die deutschen Kochmesser. Diese sind ebenfalls sehr unempfindlich und können auf dem Wetzstahl lange scharf gehalten werden, allerdings sind die meisten dieser Messer dank Maschinenschliff so dick, dass sie wenig Freude bereiten.
Die inzwischen größte und beliebteste Kategorie bilden die Messer mittelhoher Härte (~ 58 – 61° HRC). Diese Messer sind hart genug, um eine gute Standzeit zu gewährleisten, aber noch nicht so hart, dass ihre Sprödigkeit sehr dünne Schneiden unmöglich macht, weshalb viele – ich auch – sie als goldene Mitte ansehen. Diese Kategorie wird primär von den japanischen Firmen bedient, die sie auch erschlossen haben, es gibt aber einige Ausnahmen. Hier kommen verschiedene Stahlgüten zum Einsatz. Das untere Ende des Spektrums bildet der Chrom-Molybdän-Standardstahl. Er kommt bei den meisten günstigeren Messern zum Einsatz und hat die geringste Standzeit. Vergleichbar sind günstige Carbonstähle wie bspw. SK4, die aber fast allesamt aufgrund ihrer hohen Reaktivität nicht zu empfehlen sind. Besser sind Messer aus weniger hoch gehärteten Papierstählen (hauptsächlich Weißpapierstahl) und schwedischen rostträgen Stählen von Sandvik und Uddeholm. Diese werden bei richtiger Wärmebehandlung erstaunlich scharf und haben eine sehr gute Standzeit. Auch am Markt aber zunehmend weniger genutzt sind die Takefu Goldstähle (VG), die häufig in Mehrlagenmaterialen vorkommen. Vor allem VG10 ist auf Grund seiner schweren Schärfbarkeit und Sensitivität auf falsche Wärmebehandlung mit Vorsicht zu genießen. Der Großteil der Messer dieser Kategorie kann auch auf dem Wetzstahl scharf gehalten werden.
Schließlich bilden die traditionellen japanischen Messer aus Weiß- oder Blaupapierstahl die härteste Kategorie (~ 62 – 65° HRC) konventioneller Stähle. Sie werden extrem scharf und halten diese Schärfe auch lange, dafür sind dünne Geometrien schwierig zu realisieren, da mit der Härte auch die Sprödigkeit steigt, wodurch die Schneiden ab einer bestimmten Dünne zu empfindlich werden. Es gibt Dreilagenkonstruktionen, entweder aus fertigem Walzlaminat (günstiger) oder von Hand verschweißt (Warikomi, teurer), und komplett aus Papierstahl gefertigte und dann im Lehmmantel differenziell gehärtete (Honyaki, sehr teuer) Messer. Alle Messer müssen auf Steinen scharf gehalten werden, Wetzstähle richten hier Schaden an.
Die höchste Härtekategorie (>63° HRC) bilden Messer aus pulvermetallurgischem Stahl. PM-Stahl ist sehr schwer zu schärfen und nur wenige Firmen haben das Know-How, den richtigen Stahl so zu verarbeiten, dass er nicht grauenvoll zum Ausbrechen neigt. Ich habe alle diese Messer als bedingt empfehlenswert markiert, da ich niemandem ein solches Messer ans Herz legen würde, der nicht genau weiß, worauf er sich einlässt.
Hier ist das Schaubild:
(Anmerkung: Da die Bilddatei über hundert mal so groß ist, habe ich das PDF-Format gewählt. Es wird daher ein PDF-Reader benötigt.)

So, das ist es. Wer Fragen hat, kann mich gerne anschreiben. Im Messerforum wird auch noch jedem geholfen. Wer nichts gefunden hat, dem kann glaube ich auch nicht mehr geholfen werden.