Archive for the Getestet Category

Almanach der Begehrlichkeiten: Armbanduhren

Posted in Das Leben und der große Löffel, Gute Dinge, smile and look alive on 28. Oktober 2024 by lookalivecontest

Ich habe ein Problem. Ich mag Armbanduhren. Das ist aus mehreren Gründen ungünstig: Einerseits weil es weder einen Endpunkt noch eine Begrenzung dessen gibt, was man für so einen Apparat ausgeben kann. Im Raum wabert die absurde Fabel der „Grail Watch“, der Uhr, die die Lust auf mehr endlich befriedet, aber das ist natürlich das vom Wahnwitz geschüttelte Gelalle von Süchtigen. Es gibt genauso wenig die Uhr, die das Sammelfieber beendet, wie es den letzten Schuss gibt, der so gut ist, dass man es endlich sein lassen kann. Es endet, wie alles endet, wenn das Licht ausgeht. Andererseits schlecht ist, dass ich eigentlich gegen die gemeine Sammelidiotie immun bin. Ich habe viele Dinge – mutmaßlich sogar zu viele – und das auch gerne, aber ich sammele nichts um der Sammlung willen. Das ganze Konzept hatte für mich noch nie einen erkennbaren Sinn, Dinge müssen einen Zweck haben. An und für sich halte ich das Massieren von alten Blechschildern, Ü-Ei-Figuren oder Gartenzwergen für die publikumswirksame Vergeilung des hauptsächlich männlichen Imponiertriebs – und zwar derart, dass er am Ende das genaue Gegenteil des zugrunde liegenden Strebens erwirkt, nämlich das krachende Ausbleiben jeglichen Geschlechtsverkehrs. Yet – here we are.

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Das Leben und der große Löffel – Hochwertige Handtücher

Posted in Das Leben und der große Löffel, Getestet, smile and look alive on 8. Oktober 2024 by Herr Grau

Als ich dereinst in mein heutiges Leben als so aktiver wie wohlgelaunter Berufstäter eintrat, war ich nicht nur noch etwas feucht hinter den Ohren, sondern auch insgesamt morgens schlecht trocken gelegt. Denn die Frottierlappen, die mir elternseits zugeeignet worden waren, persistierten in meinem Hausstand – und die waren schon als ich sie Richtung Studentenwohnung aus dem heimischen Wäscheschrank entführte fortgeschritten gerupft gewesen. Meine geliebten Erzeuger genießen das Gesamterlebnis, das sich nur authentisch erzeugen lässt, wenn man deutlich zu kleine Handtücher über Jahre ohne Weichspüler und mit der absoluten Mindestdosis Waschmittel in sehr hartem Wasser wäscht und dann aushängt. Der lange Flor des Textils härtet so mit vernehmlichen Stoßgebeten an Edward Vickers und Stanley Rockwell in biblischer Gänze aus und kann dann so beim Abreiben des postbalnealen Menschenkörpers am Grundtuch abgebrochen werden, sodass dann endlich das finale Schleifvlies der CAMI Körnung 6-8 erzeugt ist, das seinen weiterhin in die Lande getragenen Namen „Handtuch“ mehr mit nachdrücklicher Häme als mit Aufricht trägt. Ich, so ahnt der verhaltensvoyeuristische Leser mutmaßlich bereits, teile diese Begeisterung für die Hausdesscation mittels Scheuer- und Schmirgellappen im Taschentuchformat – nicht.

Ich habe seither auch aufgegeben, meine Eltern von Gegenteiligem überzeugen zu dünken. Mit der Kraft, die nur alternde teutonische Verbohrung in Unsitten allein zu entwickeln weiß, verteidigen sie ihre masochistische Fehlinterpretation wichtiger Kulturgüter mit ehernem Eifer. Es bringt nichts als meinen Blutdrock hoch. An deren statt lenke ich also absehbarerweise meinen Effort auf die breite Öffentlichkeit. Denn als ich da stand in meiner ersten Wohnung als Erwerbtuender und die möglichst effektreiche Verdampfung meines Soldes erwog, da war das von mir ersuchte Themenfeld ein gutes – was ich jetzt, zehn Jahre später, mit ausreichender Sicherheit sagen kann.

Mein Grundgedanke war, dass es sich dort löhne zu investieren, wo man möglichst oft davon etwas hätte, namentlich bei all den Dingen, die man jeden Tag benutzt. Von einem guten Rasierpinsel hat man rein statistisch gesehen mehr Gesamtnutzleistung, also p(geil) = Nutzen x Zeit, als von einem hochpreisigen Fondue-Set. Ein Federbett von Meisterhand macht mehr gut als ein Windsurfbrett. Und zu den Dingen, die wir wirklich jeden Tag mindestens einmal nutzen, und deren Qualität sich direkt in Lebensqualität niederschlägt, gehören insbesondere eben Handtücher.

Bei meinen Recherchen ergab sich, dass die deutschen Textilwarenhersteller zwar größtenteils gute Qualität liefern, aber auch dies nicht völlig zuverlässig. So setzte ich mich beispielsweise in den Besitz einer Kombination von Saunahandtuch und Bademantel aus der Eden Serie der bekannten Marke Möve von unterdachs der großschönauer Firma Frottana für ein schweres Säckel Dukaten, deren Säume sich bereits nach der zweiten Wäsche aufzulösen anschickten. Man kann zumindest nicht alles ungesehen kaufen, sondern muss vorher die angepeilte Serie unter Zuhilfenahme des Internetzes nahbelupen. Für die aufgerufenen Preise finde ich das eher unerbaulich, profilieren besagte Firmen sich doch als Premiumhersteller und rufen entsprechende Courtagen auf. Immer wieder hörte ich Gutes über das deutsche Wäschehaus Erwin Müller, das seine Hausmarke zwar nicht selber herstellt, aber offenbar mit großer Sorgfalt kuratiert. Es gibt bestimmt viele Hersteller, die gutes Tuch weben und zu Handtüchern konfektionieren – nachdem ich meinen Erstbestand seit nunmehr zehn Jahren nutze und ebendie auch vielen ebenfalls zufriedenen Freunden und Bekannten empfohlen habe, habe ich meine Hausmarke gefunden: Die Serie Konstanz von Erwin Müller. Sie kommen mit einer Grammatur von 650g/m² daher, das Hautgefühl ist klasse, die Trocknungsfähigkeit hoch und der Stoff ist sehr beständig. Auch nach zehn Jahren der nebenbei einzigen richtigen Instandhaltungsart von Handtüchern, namentlich Kochwäsche mit Wasser+ und natürlich ohne Weichspüler – denn Weichspüler ist essentiell Fett und das hintert Stoff dann doch an der Wasseraufnahme – und anschließendem Trocknern sind die guten Stücke nicht auf. Man merkt ihnen ihr Alter erst langsam an, sodass ich sie vermutlich bald auf die Reservebank ins Wochenenddomizil schicken werde, aber das drängt nicht wirklich. Es ist einfach, um den alltäglichen Genuss wieder auf das Maximum zu bringen. Der Leben, der große Löffel, Sie verstehen.

Sich in warmflauschige, wohlduftende, schwere und saugstarke Frottierwaren hüllen zu können, ist eine sehr basale, geradezu primale aber extrem befriedigende Angelegenheit. Jeden Tag. Es fasst einem die Seele und umarmt sie liebevoll. Ich kann diese Aufwertung jeder morgendlichen Dusche und jeder Badewanne nach einem Tag nur herzlichst empfehlen. Wenige Dinge bereiten mir so konstant so viel Wohlbehagen. Ich trachte danach, mein Wohlbehagen mit der Welt zu teilen. Lassen Sie uns gemeinsam den Flausch der Zivilisation genießen.

Der Bau der Orgasmusorgel – Zwanzig Jahre auf Hifi-Abwegen

Posted in Angewandte Wissenschaft, Das Leben und der große Löffel, Gute Dinge, Röhrenverstärker, smile and look alive on 18. August 2023 by Herr Grau

Schläft ein Lied in allen Dingen
die da träumen fort und fort,
und die Welt hebt an zu singen,
triffst du nur das Zauberwort.

Joseph von Eichendorff

Vorspiel
Als ich fünfzehn Jahre alt war, spielte mir das breit grinsende Schicksal einen hochwertigen alten Telefunken Receiver aus dem Hausstand meiner Großmutter in die Hände. Im eher pflichtschuldigen Versuch, etwas sinnvolles Ganzes daraus zusammen zu wurschteln, kratzte ich meine spärlichen Pennäler-Groschen zusammen und kaufe nach einiger Recherche ein paar unverschämt günstige Dali Standboxen aus dem Ausverkauf eines insolventen Hifi Händlers aus Berlin. Nachdem noch ein alter CD Player angeklemmt ward, wurde schlagartig offensichtlich, dass mein Hirn mit diesen verbesserten Eingangssignalen große Dinge anfangen konnte. Ich erinnere mich an kaum etwas so von den Jahren unverklärt klar wie an die ersten Takte von Keziah Jones ‚Where’s Life‘ auf dem schicksalsschwangeren neuen Spielzeug. Die Welt im Hintergrund wurde leise und verschwand sodann völlig. Plötzlich war alles Musik. Es schlug laut vernehmlich Kugelblitze und Lichtbögen auf meiner Synapsenklaviatur, als ein Dopamin-Tsunami der Sumatra-Klasse unvorbereitet an sie anbrandete und mein ganzes Hirn einfach überspülte. Nur 4:51 Minuten später war ich hoffnungslos süchtig. Nicht nach Musik per se, Musik war schon immer unverzichtbar für mich gewesen – sondern nach einer Wiedergabe, die der Musik wirklich angemessen ist. Die sie ihr Potential entfalten lässt. Von einer Zusammenstellung demiarkaner elektromechanischer Bauteile, die aus nettem Geklimper ein einmaliges Erlebnis zaubern kann, das alle Sinne berauschen, einen aus der Welt reißen und auf eine Reise in den Mittelpunkt seiner selbst und an den Rand des Kosmos schicken kann, wie sonst nichts anderes auf dieser Welt. Heroin vielleicht mal ausgenommen.

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lastminute.de – Der pinke Betrug

Posted in Getestet, Probleme des Lebens on 27. November 2019 by bic_mac

Ich gestehe: Ich habe einen Fehler gemacht. Hätte ich doch nur auf Vati gehört. Der sagt immer: „Junge, billiges können wir uns nicht leisten!“ Diese von mir ursprünglich als etwas hochmütig empfunde Weisheit holt mich in meinem adoleszenten Leben ein ums andere mal ein. Jüngstes Beispiel: Ich lies mich von den grellen pinken Lichtern und den scheinbar günstigen Preisen von lastminute.de blenden und lief den Betrügern ungebremst ins Messer. Weiterlesen

Auf dem Donneresel quer durchs Paradeis – Sardinien mit BMW F800GS und KTM Adventure 790R

Posted in Essen & Trinken, Getestet, smile and look alive on 9. Juni 2019 by Herr Grau

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Ende letztens Jahres hob ich meine gesalbten Hände gen Himmel und schwor, alsbald auf dem Rücken eines Motorrads nach Mallorca zurückzukehren. In die festgemeißelten Pläne schlich sich aber schon bald ein kleines Zweifelchen und nagte fürdahin am Fundament: Warum nochmal die selbe Insel, wenn ich seit Jahren nach Sardinien will und es nie geschafft hatte? Die große Insel im tyrrhenischen Meer (natürlich habe ich das nachgeguckt, jetzt gucken Sie nicht so pikiert) soll auch ein Paradies für Mopedfahrer sein. Irgendwann hatte es mich dann so weit – die wohlfeilen Pläne wurden mit Anlauf aus dem Fenster gefeuert. Sardegna, you’re gonna be quite the show. Weiterlesen

Das chinesische Hackmesser als Universallösung für Zuhause – Chai Dao, Chukabocho, Chinese Cleaver

Posted in Angewandte Wissenschaft, Essen & Trinken, Getestet, Gute Dinge, Scharfe Messer, smile and look alive on 28. Februar 2019 by Herr Grau

Zusammen mit dem Aufkommen der Wegwerfkultur und dem Untergang der flächendeckenden Kochkompetenz im Rahmen der Emanzipation ist die Messerkultur in diesem unserem lauschigen kleinen Land zu einem kümmerlichen, schwelenden Häufchen Urdreck zusammen gefallen. Die einstige Messerschmiede der zivilisierten Welt, Solingen, produziert mit nennenswerter Ausnahme der Firma Robert Herder ausschließlich mediokres Blah, das zu den handgeschliffenen Messern, die es ablöste, zwar den Vorteil der industriellen Gleichförmigkeit und etwas günstigerer Preise hatte, leider war und ist der Schliff viel zu dick und der Stahl extrem mittelmäßig. Aus mir unerfindlichen Gründen machte man zwar über die Jahre an Griffen, Namen und Image herum, das Problem der enttäuschenden Klingen wird aber bis heute ignoriert. So wurden wir locker von den Japanern überholt, die den Finger am Puls der Zeit hatten und Stahl und Schliff ständig verbessern. So viel zu den Gründen, warum ich mit Anfang dreißig schon gefährliche Blutdruckspitzen habe und meine Nachbarn nachts manchmal ein lautes berserkereskes Toben aus meinen Kammern vernehmen.

Der Deutsche weiß leider trotz der wieder modern werdenden Begeisterung für Essen vom Messer immer noch fast nichts und hält in seiner Ignoranz die Solinger Firmen am Leben. Sie verramschen auf die Arbeitsplatten der deutschen Küchen einen Messerblock nach dem anderen, der dann dort stumpfer und stumpfer wird, bis jeder Dessertlöffel der Zwiebel ein größerer Feind ist. Die Messer für die Schneidaufgaben werden eher willkürlich gezogen – ohne jede Technik oder Schärfe ist der Unterschied ja nicht allzu groß. Gerade das schöne Geschlecht greift aus unbegründeter Angst gerne zu viel zu kleinen Messern und quält sich. Das ganze Spiel hat etwas von Flagellanten, die sich mit ihrem eitel beschützen Unwissen geißeln. Die Zeit der Sühne ist vorbei. Lasst uns endlich mit Freude kochen!

Wie ich nicht zu sagen müde werde, erledigt man mehr als 90% der Schneidaufgaben mit dem großen Kochmesser – damit ist ein europäisches Kochmesser / Gyuto oder ein Santoku gemeint. Dabei ignorieren wir, dass fast der gesamte asiatische Raum außerhalb von Japan ein anderes Universalmesser benutzt und damit ausgezeichnet zurecht kommt: Das chinesische Hackmesser, auch bekannt als Chinese Cleaver oder Chai Dao. In Japan ist das Messer als Chukabocho bekannt, hier werden sehr hochwertige Varianten hergestellt. Aber nicht zu schnell – was ist der Unterschied zum europäischen Kochmesser? Und warum behauptet der Mann, es könnte mein Küchenheil sein?

Das chinesische Kochmesser wird nicht zu Unrecht auch „Hackmesser“ (Cleaver) genannt. Auf den ersten Blick sieht es mit seiner oberflächlichen Ähnlichkeit zum Hackebeil vom lieben Metzger wie ein nicht handzuhabendes Ungetüm aus. Jetzt gilt es, keine Furcht zu zeigen und mutig zu schauen, ob nicht ein Prinz im Monster wohnt. Tatsächlich sind die Messer zwar hoch und fast viereckig, aber dennoch sehr dünn und leichter als gedacht. Das zusätzliche Gewicht arbeitet in erstaunlicher Art für einen, wenn man es richtig einsetzt. Die Messer haben die eigentümliche Charakteristik, selbst mit nur mittelmäßig scharfer Schneide sehr leicht zu schneiden.

Aller Anfang ist unbeholfen und so kommt man sich auch die ersten Minuten mit dem Chai Dao vor, als hätte man drei zusammen gebundene linke Hände. Die Messer sind nicht gut geeignet für den Wiegeschnitt, aber wenn man sich nach kurzer Zeit an den Zug-Druckschnitt und die Abmaße gewöhnt hat, fängt das Messer an zu fliegen. Dabei sticht vor allem die große Universalität heraus. Zwar ist das Parieren von Fleisch bei fehlender Spitze schwierig, aber mal ehrlich: wie oft macht man das als Hobbykoch? Vielleicht sollte man sich für einen Zehner ein Ausbeinmesser in die Schublade legen und das Thema abhaken. Dafür gewinnt man etliche Qualitäten dazu: Kräuter hacken ist deutlich effizienter als jemals zuvor, mit der geraden Vorder- und Rückseite kann man das Schneidgut aufnehmen wie mit einem Spachtel und man man Knoblauch und Ingwer einfach zerschlagen statt ihn fein zu hacken. Nicht zu vernachlässigen ist auch, dass man es wetzen und schleifen kann, bis man blau wird – es ist mehr als genug Material da. Und wie gesagt: Im Kernfeld, dem Zerkleinern von Gemüse und Fleisch, macht das Chai Dao einfach richtig Spaß – bei sehr hoher Effizienz. Wie alles auf der Welt ist es eine Geschmacksfrage, aber mir dämmert langsam, dass das chinesische Kochmesser rein objektiv wahrscheinlich das universellste und lustigerweise am leichtesten zu handhabende Kochmesser für den engagierten Koch ist. Mich wundert, dass sich diese Form anders als das eigentlich in fast allem benachteiligte Santoku kaum in Europa und den USA durchgesetzt hat – der Kreis der Enthusiasten ist klein.

Fehlt noch eine kleine Markenübersicht, sollte jetzt das Interesse geweckt sein. Es gibt die Messer in verschiedenen Größen und Dicken, vom dünnen Slicer (das was wir wollen) bis zum groben Hackebeil. Zwecks Einfachheit hat jeder Hersteller eine eigene, anders funktionierende Nomenklatur. War ja klar. Ein gutes Richtmaß für die Dicke ist das Gewicht pro cm2 Klingenfläche, da dies ungefähr mit der Dicke korrospondiert: Ein Bereich von 1,5g/cm2 bei Messern mit leichtem Griff und Steckangel bis 2g/cm2 bei Messern mit massiverem Griff und Flacherl.

Der Markt teilt sich in eher günstige chinesische Produkte, das mittelteure Feld japanischer Industrieware und hochwertige zumeist japanische handgemachte Chukabocho. Die Messer von CCK (1303 und 1302, Carbonstahl, ebay) und Shibazi (S-D1, rostfrei, Aliexpress) stellen einen sehr guten Einstieg dar und bieten im Preisrahmen von 30-70€ einen ausgezeichneten Wert fürs Geld. Die Verarbeitung ist für den Preis natürlich nicht besonders edel, aber da, wo es drauf ankommt, nämlich bei der Klinge, bieten die Messer erstaunlich viel fürs Geld. Ich habe ein CCK 1302, das ich hauptsächlich für meine Tests über die letzten sechs Monate eingesetzt habe und es ist wirklich erstaunlich schnitthaltig, scharf und pragmatisch. Ich habe dem Messer am Anfang einen Grundschliff verpasst und es seit dem nur auf dem Wetzstahl scharf gehalten mit ausgezeichneten Resultaten. Das Klingenprofil erlaubt sogar den flüssigen Übergang zum Wiegeschnitt.

Aber auch die Messer, die den Einstieg in den japanischen Markt bilden, bieten ein sehr gutes Preis-Leistungs-Verhältnis: Das Suien VC (Carbonstahl, Japanesechefsknife.com) für 160$ + Versand ist inzwischen ein moderner Klassiker, der zwar eine etwas bauchigere Klinge hat, Stahl und Schliff gelten aber als außergewöhnlich gut. Auf der Seite der rostträgen Stähle gibt es Messer aus VG10 von Suien (210$ + Versand) und Tojiro (F-921, 116€ + Versand), wobei ich aus Kostengründen Tojiro deutlich bevorzugen würde, wenn ich unbedingt rostträge haben wollte – ich würde in dieser Preiskategorie aber dringend zum Suien VC raten.

Ein #6 von Sugimoto ist der Standard-Referenzpunkt, an dem sich jeder Cleaver messen lassen muss. Mit etwas Geschick ist dieser für ungefähr 300€ importierbar (hier). Bei fast allen Schmieden in Japan kann man Chukabocho in Auftrag geben, diese liegen dann zwischen 500 und 700€ (bspw Watanabe, 540€ plus Versand). Die sehr guten und recht bezahlbaren Messer von Ashi Hamono sind leider nur noch aus Amerika und der Schweiz erhältlich. Wie so oft liegt die vermutlich beste Lösung im hochpreisigen Segment direkt vor der Tür. Der großartige deutsche Messermacher Jürgen Schanz macht für ca. 300-350€ ein Chai Dao nach Wunsch aus SB1 (rostfrei) – das wäre auf jeden Fall meine persönliche Wahl, wollte ich mein CCK 1302 ersetzen.

Drei Wochen in Vietnam – eine Reise in Stichpunkten

Posted in Das Leben und der große Löffel, Essen & Trinken, smile and look alive on 25. Januar 2019 by Herr Grau

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Es ist etwas über ein Jahr her, dass ich mir einen lange gehegten Traum erfüllen und nach Vietnam reisen konnte. Es hatte sich heraus kristallisiert, dass man, so man immer nur im Ruhrgebiet bleibt, erschreckend wenig von der Welt sieht. Die Plattentektonik braucht ein bisschen, um Patagonien an Bottrop vorbei zu schieben. Ich habe ein paar mal angesetzt, einen Artikel über diesen meinen Urlaub zu schreiben, habe aber aufgrund von Zeitmangel und im Endeffekt doch recht gemischten Gefühlen über diese Reise immer wieder aufgegeben. Heute soll es nun sein, denn die Erinnerungen verdämmern schneller als heißgeredete Wahlkampfversprechen. Der Zeitmangel ist leider weiterhin ein Problem, weshalb meine gebeutelte Leserschaft mit einer eklektischen Sammlung aus Stichpunkten wird vorlieb nehmen müssen. Garstige Welt, diese. Für kohärentes Erzählen fehlt im Moment die Traktion im Bregen.

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Die 14 Rezept-Favoriten der letzten zehn Jahre

Posted in Essen & Trinken, German Heaven, Getestet, smile and look alive on 29. Oktober 2018 by Herr Grau

Ich gebe zu – wir haben die zehn Jahre mit dem Blog erst in ein paar Monaten voll. Aber gekocht habe ich schließlich schon vorher .. oder eine andere willkürliche Begründung. Es macht sich eben besser im Titel, nech? Hitlisten bringen Klicks und ich verdiene daran schließlich .. keinen Cent. Wo war ich?…

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Tatsächlich hat sich eine kurze Liste an Rezepten heraus kristallisiert, die so gut sind, dass ich nicht mehr daran herum spiele, sondern sie immer wieder so mache. So dachte ich mir: Dieses Faktum gehört der Öffentlichkeit nicht vorenthalten, sondern separat ausgeleuchtet und expliziert. Selbstverliebt? Ich? Ach, psch!.. Hier also meine 14 Lieblingsrezepte in keiner erkennbaren Reihenfolge:

1. Babyback Ribs aus dem Ofen. Eins dieser Rezepte, von denen sofort klar war, dass man über etwas gestolpert war. Und dabei auch noch selbst entwickelt. Auch heute fast fünf Jahre später immer noch der Hausstandard.

2. Dal Shorba, indische Linsensuppe. Das Rezept ist einfach, unaufwändig und hat sich erfolgreich gegen jeden Versuch es zu verbessern gewehrt.

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3. Mein Grünkohl ist das Gericht, das die meisten Leute mit mir assoziieren dürften. Die großen Zuber dampfenden Westfalen-Ambrosias an jedem meiner Geburtstage zeichnen dafür verantwortlich. Das Rezept hat sich seit Jahren nicht geändert und ist eine gute Rekonstruktion dessen meiner Oma. Herrlicher Eintopf mit Mettenden und Kartoffel.

4. Steak Tartar. Muss ich noch mehr sagen? Eines meiner Lieblingsgerichte und eines der am meisten von Gästen nachgefragten Rezepte. Und eine der ersten Zubereitungen, von denen ich mir sicher war, dass sich nichts mehr an ihr ändern würde.

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5. Backfisch im Bierteig nach dem Rezept von Kris Morningstar. Es gibt wenige echte Tricks in der Küche – die Kombination aus Instantmehl und Wodka bei Bierteig ist einer, der durchschlagenden Erfolg hat. Knusprig und ausgesprochen luftig, einfach ideal. Man muss es wirklich sehen, bevor man es glaubt, sonst hält man diese Lobhudelei für Hyperbole.

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6. Burger Buns nach Jörn Fischer. Nach vielen Jahren auf Abwegen kam endlich das perfekte Brötchen für Fleischbrötchen in mein Leben. Es ist erstaunlich einfach und wird extrem zuverlässig super, ist gut einzufrieren – einen Burger ohne kann ich mir gar nicht mehr vorstellen. Macht es!

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7. Vitello Tonnato. Ich kann an keinem Buffet an Vitello vorbei gehen. Völlig unmöglich. Selbst wenn es nicht so doll ist. Dabei ist die Zubereitung sehr einfach, der einzige Engpass ist das Aufschneiden des Bratens. Mit Schwein lecker, mit Kalb noch besser – inzwischen kaufe ich meistens sehr bezahlbare Kalbs-Semerolle in der Metro. Ich mache das ganze sehr gerne, wenn viele Leute verköstigt werden sollen, der Aufwand ist gering und die Begeisterung immer groß. Den meisten geht es da wie mir.

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8. Meine Kürbissuppe ist einfach, leicht in großen Mengen zu machen und begeistert auch zuverlässig alle. Über die Jahre hat sie sich bei mir gegen jede kompliziertere Variante durchgesetzt. Es ist nicht Herbst, bis nicht die erste Kürbissuppe auf dem Herd köchelt!

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9. Sourdough Pancakes sind mit Sicherheit das spezialisierteste Rezept auf dieser Liste, denn wer keinen Weizensauerteig hat, der kann sie schlicht nicht machen. Sie sind aber bis zum heutigen Tag mit Abstand die besten Pancakes, die ich je gegessen habe. Es ist so schlimm, dass ich schon mehrfach überlegt habe, meinen Sauerteig wieder zu beleben, nur um die Pancakes zu machen. Wenn es so weit ist, braucht man über das Rezept nicht mehr zu diskutieren.

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10. Schnitzel, Wiener, das. Eine lange Reise hat ein Ende, das Schnitzel ist endlich perfekt. Das Problem ist nicht, dass nicht im Internet ganz offen stünde, wie man es richtig macht – das Problem sind die vielen Missinformationen. Wir mögen Teil des Problems gewesen sein, auch wir haben gesprochen, bevor wir die Kunstform zur Perfektion veredelt hatten. Das ist jetzt vorbei. Gloria Victoria, widdewiddewitt juchheissassa.

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11. Französisches Omelett klingt so leicht und ist doch technisch eine der anspruchsvollsten Dinge in der Küche und auf jeden Fall das schwierigste auf dieser muckeligen kleinen Liste. Der Aufwand lohnt aber stark: Das bescheidene Ei wird hier zu einer luxuriösen Delikatesse, nur durch Liebe und Zuneigung.

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12. Nashville Fried Chicken. Ich hatte schon viel Fried Chicken, dieses ist immer noch das beste. Besser als der Colonel, besser als die Hipster. Wenn ich in der Gastro investieren würde, ich würde dieses verkaufen. Mit Coleslaw, Dill Pickles und Weißbrot.

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13. Gratin Dauphinoise. Wenn ich mich noch fünf Prozent weniger unter Kontrolle hätte, würde ich jeden Tag Kartoffelgratin machen. Ich könnte es zu zwölf Mahlzeiten am Tag essen. Es ist einfach das beste, was ich je mit Kartoffeln angefangen habe, verbatim.

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14. No Knead Bread hat das Backen für mich handfest revolutioniert. Es ist extrem einfach, zuverlässig, zeitökonomisch und produziert exzellente Ergebnisse. Deshalb findet sich die Technik inzwischen an vielen Stellen in diesem Blog: Hier ist der Basisartikel, da ist der Spelzling und ein großartiges Baguette haben wir auch. Und Pizza natürlich. Kein anderes Rezept trage ich persönlich Leuten so viel an, weil nichts anderes so große Auswirkungen auf die Art und Weise hat, wie man eine ganze Nahrungsgruppe einfacher und besser zubereiten kann.

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Kulinarische Ausschweifungen auf Mallorca

Posted in Essen & Trinken, Geld gegen Essen - Restaurantnörgeleien, Getestet, smile and look alive on 16. Oktober 2018 by Herr Grau

Ich war – wie der aufmerksame Leser weiß – vorletzte Woche auf Mallorca. Neben einem ziemlich anstrengenden Kongress bin ich nicht nur auf einer Moto Guzzi V7 III über die Insel gedonnert, sondern habe auch ausgesprochen gut gegessen.

Erster Abend bei C’an Toni. Leckeres Essen, uriger Laden und sehr nette Kellner. Wir haben viel zu viel bestellt, die Portionen sind ordentlich. Jedes Hauptgericht kommt mit Pimentos del Padron, die muss man echt nicht extra bestellen. Ich hatte vom Spanferkel, der Hausspezialität. Das Fleisch war ausgesprochen zart und saftig, die Kruste nicht mein Fall.

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Im Sa Ximbomba in der Nähe von Palma kann man sehr schön auf einer verzauberten kleinen Terrasse in einem ruhigen Vorörtchen sitzen. Leider ging der Ofen an dem Tag nicht, weshalb wir nur ein paar Tapas gegessen haben. Die Pizza soll angeblich sehr gut sein.

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Die alte Regel, dass man dahin gehen soll, wo die Einwohner Schlange stehen, trifft voll auf das Restaurante La Parada Del Mar in Palma zu. Es gibt vorne eine Theke mit fantastisch frischen Meeresfrüchten und Fisch und man kann sich aussuchen, wieviel man wovon möchte. Wir hatten Babytintenfisch, Sardellen und Babyaale frittiert, Razor Clams mit Kräuterbutter gedämpft, Kaisergarnelen gedämpft, eine Seezunge und ein Seeteufelfilet gebraten. Absolut großartig. Und das ganze für einen Preis, für den man hier nicht mal den rohen Fisch bekommt.

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Am Cafe Sa Plaça De Galilea kann man einen fantastischen Ausblick und die Ruhe eines Bergdörfchens genießen. Wir hatten Tapas, die waren sehr lecker. Zum warmen Essen kann ich nichts sagen.

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Wir waren in Palma zweimal Pizza essen, beide Neapolitanische Pizza. Kleiner und fraglos sympathischer war das Cibus an der Avinguda de Joan Miró. Die schelmischen Besitzer sind Italiener und immer für einen Scherz gut. Die Nutellapizza hinterher war zwar ein bisschen häretisch, aber extrem lecker.

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Die L’Artista Pizzeria ist ein deutlich größerer, professionellerer Laden. Zwar war der Service nicht perfekt (ich musste dreimal um eine Gabel bitten, während ich die Pizza schon hatte) und es ist draußen sehr laut, aber die Pizza war ohne Frage sehr gut.

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Auf meiner Motorradtour machte ich unter anderem Halt in einem netten kleinen Café in Puigpunyent, Ca Sa Nina. Nichts besonderes, aber sehr netter Service und ein guter Stop.

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Das beste kommt wie immer zum Schluss: Das Toque De Queda in Palma zeichnet sich hauptsächlich durch eine Theke mit Charcuterie und Käse erster Güte aus. Aber auch die hausgemachten Gerichte sind der Wahnsinn. Der Oktopus mit Kartoffelmus und das Zucchinicarpaccio waren fantastisch – den Oktopus haben wir direkt noch mal bestellt. Der Laden ist sehr muckelig und das Personal großartig.

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Quer über Mallorca zu Pferd auf der Moto Guzzi V7 III

Posted in Getestet, smile and look alive on 7. Oktober 2018 by Herr Grau

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Ich hatte eigentlich vor gehabt, Mallorca nie zu besuchen. Das sogenannte 17. Bundesland ist im kollektiven Bewusstsein der Welt das inselgewordene Gedenkmonument des deutschen Pauschaltourismus und entlockt meinem sonst doch eher inerten Animus Wellen um Wellen grausigster Fremdscham. Jetzt hatte sich aber meine Fachgesellschaft überlegt, hier einen einwöchigen Kongress anzuberaumen, den ich keinstenfalls verpassen wollte. Das Schicksal ist ein kichernder Kobold unter meiner Treppe. Und langes Zögern ist ja bekanntlich etwas für Leute, die Crocs für praktische, kleidsame Schuhe und Haftpflichtversicherungen für gute Party-Konversation halten. Ergo biss ich alle meine 52 Zähne zusammen, setzte mich auf das nächste Katapult gen Palma und zog beherzt am Hebel.

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Hier ist, was von Vorurteilen zu halten ist: Mallorca ist – abseits von Calarattatata und Ballermann – wunderschön. Atemberaubend sogar. Selbst das ziemlich touristische Palma ist in seiner Altstadt nicht nur hübsch, sondern hat echten Charme und Charisma. Die Touristen freundlich und umsichtig, die Lokalbevölkerung nett und aufgeschlossen. Man denkt, man ist im falschen Film. In Anbetracht der universellen Schönheit der Insel an allen Stellen außerhalb der bekannten Ausläufer der Hölle war der Faux-Charme unseres Kongresshotels mit seiner gewollt sorgenfreien paradiesoiden Realitätsblase eigentlich eine Farce. Die Disney Regenbogenwolke verliert gegen den Zauber realer Schönheit in der ersten Runde durch K.O.

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Wir hatten vorne und hinten an die ziemlich anstrengende und zeitintensive Kongresswoche jeweils ein paar Tage Erholungsurlaub angelötet. Ein einziger Blick auf die Landstraßen genügte, und der Plan, ein Motorrad zu mieten und zwecks Hirnfreimachung diese Bilderbuchlandstraßen herunter zu donnern, hatte sich selbst aus der Taufe gehoben. Es gibt etliche Motorrad-Vermieter auf Mallorca, aber da ich in der Nähe von Palma war, fiel meine Wahl auf Vintage Motors. Sie sind zwar hauptsächlich auf Roller spezialisiert, hatten aber auch eine Moto Guzzi V7 III im Angebot – und das mit 68€ (+3€ für Versicherung ohne Selbstbeteiligung) am Tag deutlich günstiger als die Konkurrenz. Sie liefern und holen das Motorrad gegen ein schmales Endgeld wieder ab, sie sprechen gut Englisch und waren insgesamt entspannt und völlig unkompliziert. Es gibt allerdings keine Motorradkleidung zu mieten und die im Mietpreis inbegriffenen Helme sind eher als alberne Kappen zu bezeichnen. Sie sind offensichtlich für Roller im Stadtverkehr gedacht und hätten einem ernsthaften Unfall so viel entgegenzusetzen wie ein kasachischer Heuwagen einem gezielten Orbitalbombardement. Eigene Klamotten mitbringen ist also explizit angeraten.

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Die Guzzi V7 ist ein Moped, das ich schon seit geraumer Zeit testen wollte. Zusammen mit der Triumph Bonneville und meiner Kawasaki W800 ist es eines von nur drei Modellen am Markt, die mein Sinn für Ästhetik als tatsächliche Motorräder und nicht als elektrische Rasierapparate identifiziert, um mal frei mit Marv aus Sin City zu sprechen. Von den dreien hat die Guzzi fraglos den meisten Charakter. Die Bonny hat bereits auf Wasserkühlung umgestellt und Triumphs ewiges Pochen auf ihre Tradition ist recht hohles Gebrüll. Die kürzlich aufgrund des fehlenden ABS vom Markt verschwundene Kawasaki hat nicht nur noch weniger Tradition, sie ist von den drei Maschinen auch die zahmste und vernünftigste. Moto Guzzi hat von der landauf landab von jeder Motorrad-PR stets beschworenen und allzu selten tatsächlich zur Verfügung stehenden Firmentradition und Modellgeschichte schaufelweise: Sie sind der am längsten durchgehend produzierende Hersteller in Europa und haben schon querliegende Zwei-Zylinder-Vs an Stahlrähmen gebunden, als Jesus noch im Schuhgeschäft in Galilea Latschen anprobiert hat. “Mein” Donnerfahrrad mit dem Adler war für das wenige Geld natürlich das Basismodell (‘Stone’), hatte fast 40tsd auf der Uhr und trug ein Kleid, das von hartem Tagewerk sprach. Für mich hätte sie schöner nicht sein können.

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Eh man sich’s versieht nimmt man auf dem Sitz der Guzzi Platz. Mit meinen 1,90m kann ich auf dem Bock bequem sitzen, ohne dass meine Knie von den Fußrasten unter mein Kinn genagelt werden. Alles ist problemlos zu erreichen, einzig muss ich mich für den Lenker einen Ticken weit nach vorne lehnen. Der Sitz war auch nach einem Tag im Sattel noch sehr bequem, hier gibt’s volle Punktzahl, zumindest für den Fahrer. Mit einem wütenden Gurgeln und dem charakteristischen Schütteln erwacht der querliegende Langhuber aus dem Schlaf. Und verabschiedet sich mit einem unspektakulären Geräusch von Enttäuschung direkt wieder in eine unruhige Kurz-Siesta – denn der Motor neigt aufs übelste zum Absaufen. Man lernt schnell, dass expressive Leidenschaft am Kupplungshebel fehl am Platze ist und beim Anfahren die Kurbelwelle ihr Stammgeschäft des Kurbelns besser bereits schon mit Eifer betreiben sollte. Ansonsten darf man mitten auf einer Kreuzung die zweite nervige Kapriziose der schönen Italienerin kennen lernen: Sie lässt sich schlechter in den Leerlauf schalten als jedes andere Motorrad, das ich je unterm Bobbes hatte. Und während ich das moglichweise noch dem geschundenen Zustand des Mietesels zurechnen mag, wäre es einfach kein guter Witz, wenn man aus mir völlig unklaren Gründen die Maschine nicht auch nur im Leerlauf anlassen könnte – anstatt mit gezogener Kupplung wie jedes andere Motorrad, Mofa, Roller, Kickboard und preußische P90 im bekannten Universum. Wer sich das ausgedacht hat, gehört mit einem halbgefrorenen Seelachs verprügelt.

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Der herrlich anachronistisch luftgekühlte Quer-Zwo klingt leider erschütternd bedauernswert. Im Stand geht es noch, aber während der Fahrt hört man fast nur ein weinendes Pfeifen aus den hagen Flöten. Es schneidet tief in jede ehrliche Männerseele, wie grausam dem schwarzen Herz der Guzzi der Emissionsschutz den Mund zugebunden hat. Man fühlt in der Tiefe seines Bauches, wie die Kammern in der Brust der Maschine schlagen und toben und die Welt davon wissen lassen wollen. Es ist ein Affront gegen Gott und alles was gut und richtig ist. Ein neuer Auspuff sollte für jeden Besitzer weiter oben auf der Einkaufsliste stehen als so überflüssige Dinge wie Essen, fließend Wasser und Kleidung.

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Das Aggregat entfaltet, wenn man denn erstmal fährt, von unten an sehr ordentlich Kraft und zieht nachdrücklich an, bis es fast sofort wieder in den harsch stehenden Begrenzer hagelt, der der Bauart ärgerlicherweise Rechnung tragen muss. Physik ist nun mal Physik. Was ein Ärger. So rühre Er Gänge! Mit Ausnahme des Fauxpas mit dem hinter Gleis 9¾ versteckten Leerlauf ist die Schaltbox eine große Kiste gut abgestimmter Gänge, die mit einem etwas hohlen Klicken an den Platz springen, den der Gott Italiens für sie vorgesehen hat. Seidig ist zwar anders und Gefühl wie Geräusch könnten noch ein bisschen satter sein, aber das ist Haarspalterei. Sobald die erste Kurve auftaucht, denkt man nie wieder an die Schaltung – und das ist alles, was es dazu zu sagen gibt.

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Bereits die ersten Gasstöße verraten, dass Sprit im Zylinder zu einer viszeralen Bewegung im Herz des Eisenpferds führt. Es reißt den Rumpf jedes Mal kurz nach rechts, wenn man die Peitsche schwingt. Was im Stand und auf der Geraden unterhaltsam ist, lässt einem am Aufstieg von scharfen Serpentinen durchaus die entscheidenden Teile in die Hose rutschen, wenn beim Beschleunigen bergan auf der sowieso schon in jeder Raumrichtung verdrehten Straße auf das Zucken des Motors hin das Heck plötzlich wegschwimmt. Mehr als gewöhnungsbedürftig, das.

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Weder den Federn noch der Schräglagenfreiheit kann man dabei irgendwas vorwerfen. Klar, es wäre wirklich langsam mal angebracht, dass progressive Federn zum Fabrikstandard an all diesen Motorrädern gehörten, aber was man als Regelleistung bekommt, besteht erfreulicherweise immerhin nicht aus eingeschmolzenen Coladosen. Die Guzzi kommt deutlich weiter runter als die meisten Mokicks in direkter Konkurrenz, was gerade bei besagten Steilserpentinen ein Segen ist. Ich bin mit dem Fahrwerk der V7 dennoch bis zum Ende nicht ganz warm geworden. Auch nach zwei Tagen zur verlängerten Vertrauensbildung war es mir nicht zuverlässig möglich, den Bock genau da in die Kurve zu stellen, wo ich ihn haben wollte. Wo bei meiner W800 nach drei Kurven zur Gewöhnung blindes Vertrauen in die absolute und unmissverständliche Zuverlässigkeit herrschte, war bei der V7 bis zum Schluss viel Konzentration notwendig. Leicht von der Hand gehen sieht anders aus, von Telepathie braucht man gar nicht zu reden anfangen. Einen nicht unerheblichen Anteil hat die Tatsache, dass das Mofa zwar weit runter geht, ohne dass irgendwas am Asphalt kratzt – sie will aber nicht. Die sich zierende Jungfrau aus Mandello del Lario muss wirklich mit Nachdruck gebeten werden.

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Den fantastischen Straßen Mallorcas tat das ganze keinerlei Abbruch. Ich hatte die gesamte Zeit ein Grinsen ins Portrait genagelt, dass der Bregen mit der Produktion der Endorphine kaum nach kam. Gerade die Küstenstraße von Andratx nach Norden über Estellenc bis Banyalbufar ist ein Kleinjungentraum in Asphalt. Die Ausblicke kann man ohne Umweg in den Katalog drucken. Und der Zustand der Straßen ist überraschenderweise fantastisch. Nur wenige Kurven halten ernsthafte Überraschungen bereit, was vermutlich der einzige Grund dafür ist, dass viele der motorradierenden Kollegen überhaupt zu Frau und Kind zurück kehren – wo viele Leute zusammen kommen, ist auch immer ein gerüttelt Maß an Deppen anwesend. Aber weder die wenigen faulen Eier noch die omnipräsenten Fahrradfahrer überall können einem eine der besten Motorrad-Erfahrungen verhageln, die man für Geld und gute Worte bekommen kann. Um zu zeigen, dass ich nicht nur aus heißem Eisen Hyperbolen schmiede: Mein Entschluss steht fest, nächsten Frühling zum ersten Motorradurlaub meines Lebens nach Mallorca zurück zu kehren. Ob ich aber wieder auf den Rücken des Adlers steigen werde – und ob ich mir eine V7 in die Garage stelle als eines der wenigen Motorrädern mit ernsthaftem Charisma und ABS, bis 2020 der Traum der luftgekühlten Twins endgültig ausgeträumt ist – das weiß ich noch nicht zu sagen.

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