on 15. Mai 2019 by Herr Grau

Wer dieser Tage im Internet bunte Bilder von Essen mit noch bunteren Formulierungen unterlegt und anlässlich dieser eher albernen Tätigkeit etwas auf sich hält, der kommt kaum daran vorbei, irgendwann Tonkotsu Ramen anzufertigen. Für den hippen Food-Blogeure ist dieses Projekt eine Conditio sine qua non, ein Aufnahmeritual in den Kreis der Wissenden und Erlauchten. Nun bin ich ja ungefähr so hip wie Schwarzbrot mit Griebenschmalz oder die Gartenbauausstellung Hönnepel-Niedermörmter und mit der Durchlauchung steht es auch nicht gerade atemberaubend – über dreißig ist der Abstieg auf der sozialen Leiter des Internets quasi fest besiegelt. Ärgerlicherweise esse ich aber unglaublich gerne Ramen und die einzige Variante, die man hier nirgendwo in ordentlich bekommt, ist natürlich auch die eine, von der mir am meisten vorgeschwärmt wird. Da es ja in großen, leuchtenden Lettern über dem Artikel prangt, ahnt der transfersleistungsstarke Leser bereits, wovon die Rede sein dürfte.
Woraus besteht Ramen? Detailschlacht.
Erstmal muss man jedoch mit dem langen Arm deutlich weiter ausholen und sich fragen, woraus sich eine gute Schüssel Ramen überhaupt zusammensetzt. Nicht dass ich meinen pädagogischen Anspruch hier zu hoch hängen wollte – mein Geschreibsel wird nur ohne diese Informationen zunehmend Kauderwelsch. Grundlage ist jeweils eine Brühe, diese kann aus Fisch, Fleisch oder Geflügel – oder einer Mischung daraus – bestehen und mit allen Kräutern, Gemüsen und Pilzen aromatisiert sein, die der liebe Herrgott hier hinterlassen hat.
Die Brühe wird in der Schüssel mit einer Würzsauce gemischt, die Tare heißt. Die häufigsten Varianten sind Shoyu (Sojasauce), Shio (Salz) und Miso, wobei es sich hierbei nur um die Hauptgeschmacksrichtung der Sauce handelt. Die Würzsaucen sind teils sehr komplex und liefern insbesondere Umami und Salz. Bei der Zubereitung gibt es myriaden Möglichkeiten, der Fantasie sind hier wenig Grenzen gesetzt. Als weitere Ergänzung des Geschmacks können Öle wie z.B. Kräuteröl, Chiliöl oder Knoblauchöl zum Einsatz kommen.
Ramen-Nudeln sind eine eigene kleine Wissenschaft. Es handelt sich um Weizennudeln, die mit einem alkalischen Salz und Wasser hergestellt werden, wodurch sie ihre charakteristische federnde Textur bekommen. Man kann sie getrocknet oder frisch kaufen – und man kann sie natürlich auch selbst herstellen. Die Nudeln sind eine echte Kavität, denn gute Nudeln sind in Deutschland nur schwer zu bekommen. Noch schlimmer wird es, wenn man feststellt, dass es etliche distinktive Stile von Nudeln gibt, die zu unterschiedlichen Ramenarten unterschiedlich gut passen.
Als Accoutrements kommen allerhand Dinge infrage. Ramen ist einer der kreativen Spielplätze der japanischen Gastronomie, ergo reichen die Tasten auf meiner Tastatur nicht, um alle Möglichkeiten aufzuzählen. Klassische Beigaben sind aber Chashu Schweinebraten – meist Schweinebauch geschmort in einer Sojabrühe -; Ramen Eier (Ajitsuke Tamago), die weichgekocht und dann in einer Sojamarinade eingelegt werden; Algenblätter (Nori), Frühlingszwiebeln, Pak Choi, Sesamkörner, Mais, Weißkohl, Fish Cakes…
Zurück zum eigentlichen Thema.
Tonkotsu – in der Provinz Fukuoka, aus der das Gericht stammt, auch Hakata genannt – ist im Kern eine lange gekochte Schweinebrühe. Bereits an diesem frühen Punkt hört es mit den inhaltlichen Sicherheiten aber auch schon auf. Einige Autoren kochen Huhn undoder Gemüse mit. Die besten Teile vom Schwein sind umstritten. Die Kochzeit schwankt zwischen 6 und 24 Stunden. Die einzige Konstante ist, dass das gewünschte Aussehen milchig-weiß und cremig ist, wofür die Knochen vorher sehr ordentlich gesäubert werden müssen.
Ich hatte mich bei meinem ersten Versuch nach einigem Querlesens auf das Rezept von SeriousEats als grobe Richtschnur eingeschossen. Dieses stellt auf Schweinefüße, Hühnerkarkassen und teils geröstetes Gemüse (Zwiebeln, Knoblauch, Ingwer, Frühlingszwiebeln) ab. Mehr als zehn Stunden Kochzeit war zeitlich bei mir nicht drin und wir ahnen auch schon, dass ich das Auslaugen des Blutes übersprungen habe. Die Brühe war sehr lecker, aber sie hatte einen Überhang an Gelatine und tendierte am Ende doch einen Ticken ins Bräunliche. Ich konnte mich auch des Eindrucks nicht erwehren, dass Huhn und Gemüse geschmacklich am Ende eher im Weg waren als alles andere. Ich hatte nicht gerade wenig vor meiner Unterfangung recherchiert, aber jetzt sah ich mich gezwungen, mich direkt an mehreren Fronten fortzubilden und einen Maßnahmenkatalog aufzustellen:
Brühe.
Nach länglicher Recherche fand ich deutliche Parallelen zur medizinischen Fachliteratur: Alle schreiben von allen anderen ab. Ramenköche in Japan sind berühmt für ihre Verschwiegenheit. In englischer Sprache sind hauptsächlich zwei wirklich kompetente Leute gewillt, ihr Wissen zu teilen: Zum einen Ivan Orkin, der Besitzer von Ivan Ramen, der aber recht offensichtlich auch noch viel für sich behält. Zum anderen zeigen aber, wenn man die Fäden nur lang genug verfolgt, fast alle großen leuchtenden Pfeile auf einen Reddit-User namens Ramen_Lord, wohinter sich der obsessive Ramen-Enthusiast Mike Satinover verbirgt.
Dessen aktuelles Rezept (er arbeitet laut eigenen Angaben an einem Rezept mit mehrzeitigen Zugaben der Knochen) für Tonkotsu Brühe stellt ausschließlich auf Schwein ab und nutzt keinerlei Gemüse. Meine einzige Leistung wird hier die Übersetzung und Ergänzung von Maßen sein:
2,5kg Nackenknochen längs gespalten und 2,5kg Oberschenkelknochen entweder längs oder quer geschnitten vom Schwein 12-24h in kaltem Wasser im Kühlschrank auslaugen. Wer enthusiastisch ist, wechselt das Wasser einmal. Wasser abgießen und Knochen abwaschen. Mit kaltem Wasser gut bedecken, zum Kochen bringen und 15 Minuten kochen. Komplett abgießen, Knochen abspülen und mit einer frischen Bürste abbürsten. In einen 20l Topf die Knochen und 500g Rückenspeck geben und mindestens zu 3/4 mit Wasser füllen, Deckel drauf. Aufkochen. Wenn man das ganze über Nacht macht, darf die Brühe die ersten acht bis zehn Stunden auf niedriger Flamme simmern – danach sollte spätestens ein langsames rollendes Kochen begonnen werden. Nach insgesamt 12 bis 18 Stunden sollte sich das Fleisch komplett von den Knochen gelöst und der Speck sich aufgelöst haben. Eventuell muss zwischendurch Wasser aufgefüllt werden. Die Brühe sollte milchig weiß und seidig sein, darauf kann sich eine relevante Fettschicht ablagern. Das Endergebnis sollten nach dem Abseihen ca. 10l Brühe sein.
Tare.
Ich habe für den Erstversuch Miso Tare nach Ivan Orkins Rezept gemacht (je 100g Miso weiß und rot, 30g Öl, 20g Zucker oder Honig, 30g Hühnerschmalz, alles kurz zusammen kochen). Am folgenden Tag habe ich nach einem guten Stück weiterer Recherche die Marinade des Chashu Bratens als einfache Shoyu Tare verwendet und mochte dies deutlich lieber. Mit ein bisschen Katsuobushi war es noch besser. Mir schwant daher, dass Mr. Satinover auch hier recht haben mag:
Shoyu Tare: Je 50 ml Sake und Mirin zusammen aufkochen und ca 5 min sieden lassen. 200 ml Sojasauce zugeben und einmal zum sieden bringen.
Dashi Tare: 5 Blätter Kombu ca. 8 x 8 cm mit Wasser bedecken (300-500 ml) und über Nacht in den Kühlschrank stellen. 1 EL Sesamöl erhitzen und ca. 200 ml Niboshi (getrocknete Sardellen) dazu geben. Leicht anbraten bis dezent gebräunt, 40-60s, nicht übertreiben. Kombu mit Einweichwasser zugeben und auf 80°C bringen (Thermometer benutzen!). Kombu entfernen und 250 ml Katsuobushi (geräucherter, getrockneter und dann dünn gehobelter Bonito) zugeben. 10 min bei 80°C halten. Durch ein feines Sieb ziehen.
Beide Tares 1 : 1 mischen und mit Salz abschmecken, bis sie knapp zu salzig sind.
Nudeln.
Die mit Abstand größte Enttäuschung waren die frischen japanischen Nudeln, die ich gekauft hatte. Sie fühlten sich verkocht an, selbst wenn man sie nur in der Brühe warm werden ließ. Absolut unbrauchbar. Hakata Nudeln haben einen ordentlichen Biss und das ist bei so einer charakterstarken Suppe auch notwendig. Ich werde ein paar Experimente mit bestellten Nudeln machen (insbesondere zu nennen: Hime und Hakubaku), aber mir schwant schon, dass ich da selbst ran muss.
Es gibt eine nicht endende Menge an Informationen zu Ramennudeln und viele hochwertige Videos. Viel mehr als ich hätte sichten können, selbst wenn ich wochenlang Zeit gehabt hätte. Der uns inzwischen wohlbekannte Ramen_Lord sagt in seinem Rezept (spreadsheet), dass Hakata Nudeln zuhause quasi nicht zu machen sind. Balls. Das Problem mit Nudeln mit mehr Biss ist die geringere Hydratation, was das Kneten und Ausrollen gleichermaßen erschwert. Man muss selbst schauen, wie weit man bei sonst gleichem Rezept (550er Weizenmehl, 1% Gluten, 1% gebackenes Backnatron, 1% Salz) die Hydratation von einer normalen Tokyo style Nudel mit 40% Hydratation in Richtung der 22% herunter bekommt, die eine Hakata style Nudel haben sollte. Je nach Equipment und Erfahrung peilt unsere ewige Quelle 30-36% an.
Gemeinsam ist all den Rezepten die Verwendung von „baked baking Soda“, also gebackenem Backnatron. Es hat wider Erwarten der Autor keinen Schlaganfall, es handelt sich tatsächlich um ein überdurchschnittlich wichtiges Detail. Backnatron bei 120°C für eine Stunde zu backen, macht aus Natriumbicarbonat das deutlich alkalischere Natriumcarbonat. Dies ist ein Schritt, den man nicht sparen sollte.
Eine weitere Zutat, die in fast allen Rezepten auftaucht, ist Weizengluten. Der Grund ist, dass der Proteingehalt von selbst backstarkem Mehl nicht hoch genug ist. Wahrscheinlich muss man es im Netz bestellen.
Der Prozess der Herstellung ist wie folgt: Salz und Natriumcarbonat in Wasser auflösen. Mehl und Gluten mischen, Wasser nach und nach einarbeiten. Teig 30 min ruhen lassen, dann platt drücken und durch die ersten vier Dickeeinstellungen einer Pastamaschine laufen lassen, auf die Hälfte falten. Dieser Prozess wird zweimal wiederholt. Teig 30 min abgedeckt ruhen lassen, dann auf die gewünschte Dicke ausrollen (1 – 1,5 mm) und entweder mit dem Spaghettischneider oder einem Messer schneiden. Mit Stärke bestäuben und in Gefrierbeuteln min. 24h im Kühlschrank reifen lassen. Im Kühlschrank halten die Nudeln vier bis fünf Tage, eingefroren etliche Monate.
Nudeln sollten ca. 90 – 120s in ungesalzenem Wasser unter kräftigem Rühren gekocht werden, dann so gut wie möglich abtropfen.
Chashu Pork.
Ich glaube ehrlich gesagt, dass mein einziger Fehler mit meinem Chashu Braten war, dass er zu lange im Ofen war. Geschmacklich war er sehr ordentlich. 200 ml Sojasauce, je 400 ml Wasser, Sake und Mirin, 200 ml Zucker, einen Bund Frühlingszwiebeln grob gehackt, ein 7 cm Stück Ingwer, eine halbierte Knolle Knoblauch, ein Sternanis und zwei halbierte Schalotten mit Schale in einem Bräter aufkochen. Ein 1,5kg Stück Schweinebauch mit Schwarte zu einer Rolle schnüren, hinein geben und bei 140°C ca. 4h in den Ofen stellen. Der Deckel sollte minimal geöffnet sein und der Braten einige Male gewendet werden. Braten vor dem Schneiden im Kühlschrank abkühlen lassen.
Ramen Eier.
Ich muss zugeben, dass ich noch nie Probleme mit der Herstellung eines weichgekochten Eis hatte, bis zu dem Tag, an dem ich mich anschickte, Ramen Eier (Ajitsuke Tamago) zu machen. Man soll Eier am Boden anstechen und 7 Minuten kochen, dann in Eiswasser abschrecken, schälen und marinieren. Vielleicht war ich zu vorsichtig mit dem Sieden meines Wassers, meine Eier waren kräftig unterkocht und sind beim Pellen zur Hälfte kaputt gegangen. Ich habe die traditionelle Methode gewählt und die Chashu Marinade zum Einlegen der Eier für 6h verwendet. Mike Satinover empfiehlt „equilibrium brining“, also eine weit weniger salzige Lake, die dafür das Ei komplett durchdringt. Hierzu werden die gepellten Eier mit Wasser bedeckt und je 10% des Gesamtgewichts von Eiern und Wasser in Sojasauce und Mirin zugegeben. Sie marinieren dann 48h im Kühlschrank.
Wenn man genau hin hört, kann man im Hintergrund „The Road Is Long“ spielen hören. Es gibt noch einiges zu tun und dieser Artikel ist mehr als andere nur eine Momentaufnahme meines Wissens. Ich fand diese Zusammenfassung meines jetzigen Wissensstandes trotzdem teilenswert – mir hätte sie noch vor wenigen Tagen sehr geholfen.
